
Von Osh nach Song Köl – 150 Kilometer, eine Tagesaufgabe
04. August 2021 | Merdari, Montenegro | Sören
Wir beginnen unsere Reise in Osh. Laut der Planung von Travelland kann man die Strecke von Arslanbob, also ca. 100 km nördlich von Osh, nach Song Köl in sieben Stunden schaffen. Wir rechnen also mit 10 Stunden und der Plan, noch heute auf dem Hochplateau anzukommen, ist geschmiedet und steht.
Was wir nicht wissen ist, dass wir allein schon über drei Stunden bis nach Dschalalabad, der Stadt, in der es nichts zu sehen gibt, brauchen und anschließend noch ganze zwei Tage bis zum Ziel, welches uns echt beeindruckt und eine der schönsten Landschaften Kirgistans bereit hält.
Es geht über Straßen, die gar keine sind, entlang der alten Seidenstraße, die wohl eher für Kamele statt für Autos ausgelegt ist (entsprechend ist auch die Reisegeschwindigkeit) und über Pässe, die uns an die 3000er bringen.
Zwischendurch wird das Benzin knapp und ein Wettrennen um die Kilometer bis zur nächsten Füllung von der durstigen Miss Brooks beginnt. Außerdem können wir wieder das allabendliche Donner-und-Blitz-Programm einschalten und sind von Gewittern in den Bergen quasi umzingelt. Also, auf nach Song Köl.

Wo ist die Straße? Was, der Schotterweg da?
Wir brechen mit etwas Verspätung in Osh auf, da wir uns ja noch den Sulaimanhügel angeschaut und den frühen Nachmittag mit Bububatma und ihrem Freund verbracht haben. Zuerst gilt es, den Tank aufzufüllen. Dies macht hier eine eifrige Tankstellenwärterin, die leider den Hebel nicht ganz herunterdrückt und wir knapp 10 Minuten mit dem Füllhahn an der Tankstelle stehen, bis 60 Liter in Miss Brooks hineingelaufen sind. Danach geht es den Weg, den wir schon zwei Tage zuvor gefahren sind zurück nach Dschalalabad. Verändert hat sich an den Straßenverhältnissen ebensowenig wie an der Stadt. Schnell durch heißt die Devise.
Am Ende von Dschalalabad kommen wir entlang der eingezeichneten Hauptstraße an unsere erste Schranke, bevor wir in die Berge fahren. Hier soll wohl gekennzeichnet werden, wann der Pass, also die alte Seidentraße offen ist, oder nicht. Vorbei fahren wir an ein paar biertrinkenden Männern, ich hoffe nicht die Schrankenwärter, bis wir die ersten zwei Dörfer passiert haben. Abrupt endet die asphaltierte Straße und wir begeben uns auf eine Schotterpiste, die von Löchern ebenso ausgehöhlt ist, wie mit Ausspülungen von Schmelzwasser. Das soll eine Hauptstraße sein? Hier fahren wenig Autos, dafür mehr riesige LKW, an denen es schwer ist, vorbeizukommen, auch wenn wir mit einer Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h fahren können. Es ist nun schon 16:00 Uhr und die Erreichung unseres Ziels, das wird Lisa schnell klar, rückt in unerreichbare Ferne. Mir fällt es nicht leicht, das zu akzeptieren. Wie haben die von Travelland das denn gemacht? Ja, sind die denn geflogen?
Langsam wird es dunkel und wir steuern unseren Rastplatz auf einer kleinen Hochebene über dem Fluß an. Unter uns scheint mal ein alter Platz für ein Jurtenlager gewesen zu sein, auf den es sich nun fabelhaft schauen lässt. Wir parken unseren 4×4 in optimale Sichtposition und bauen unsere Feuerstelle auf, als wir zuerst von einer Frau mit Kind und später einem Hirten begrüßt werden. Scheinbar hat niemand ein Problem damit, dass wir hier für eine Nacht stehen.
So entzünden wir unser Feuer, bereiten unsere Gretschkapfanne vor und genießen den Ausblick in das abendliche Dunkel. Unten rumpelt ein Buchanka mit offener Fahrertür vorbei und wir schlafen gut und in fester Überzeugung, morgen den Song-Köl-See zu erreichen ein.
Ein Satz mit X, dass war wohl nix
Wir brechen früh auf. Als wir unseren Tee bereiten, kommt ein Reiter den Berg hoch, begrüßt uns, zeigt uns seine Rinderherde in den Bergen und wir teilen unseren Kurut und unseren Tabak mit ihm. Anschließend begeben wir uns wieder auf unsere „geliebte“ Huckelpiste und betreuten diese mit unseren wahnsinnigen Geschwindigkeiten. Hier treffen wir wenig später unseren Buchanka-Mann und Lisa unterhält sich mit ihm über das Auto. Er ist sehr zufrieden (also scheinbar wenig Breakdowns) und erfährt, dass er eine Herde mit 400 Rindern hat und diese nun Stück für Stück in die nächste Stadt bringt – auf der Ladefläche.
Nach weiteren 80 Kilometern endet die Karawanenstraße und wir biegen auf eine super, neue und vierspurige Straße ein. Zeit, Miss Brooks die Sporen zu geben. Wir düsen mit über hundert (das ist legendär in Kirgistan!) über die Straße. Song Köl, wir kommen! Wenn das so weitergeht, sind wir am frühen Nachmittag da.
Aber es geht nicht so weiter. Wir biegen auf die Straße nach Kasaman ein und sind gleich nach dem Ortsschild wieder auf einer Steinsplitstraße mit den gehassten Querrillen. Anfangs fahren wir noch vorbildlich. Als uns aber ständig andere 4×4 überholen, trete auch ich auf das Gaspedal und fliege über die Querrillen. Mit 60 km/h kommt man nicht in eine Resonanzfrequenz und es fährt sich doch leichter. Das ist ein Erfahrungsschatz, der uns auch weiter begleiten soll. Ich will gar nicht wissen, was die Überholung des Fahrwerks nach jeder Verleihung der Mietwagen kostet. Egal. Nun fliegen wir über die Piste. Doch oh weh, nach knapp 10 Kilometern endet die Straße nach Naryn. Die wollten wir eigentlich nehmen. Laut den Informationen von iOutlander ist die Straße allerdings durch den gleichnamigen Fluß weggespült worden. Für uns heißt das nichts anderes, als wieder auf die alte Karawanenstraße einzubiegen. Was das bedeutet, ist uns beiden klar, nichts Schnelles jedenfalls.
So tuckern wir dahin und ich bin etwas mißmutig gelaunt, denn langsam dämmert mir, dass wir auch heute nicht mehr an unserem Ziel ankommen. Außerdem zeigt die Tanknadel immer weiter nach unten und wir berechnen schon, ob wir es denn überhaupt bis zur nächsten potenziell erreichbaren Tankstelle schaffen. (Wobei Lisas Frage, ob wir in Kasarman nicht noch mal was reinlassen sollten, mit einem „Ach Quatsch“, abgetan wurde.) So geht es über Stock und Stein, durch Berg und Tal, bis wir uns zähneknirschend dazu entschließen, in einen Wiesenweg einzubiegen und kostbare Benzintropfen zu verschwenden, um auf einem Hochplateau zu nächtigen.
Der Standplatz entschädigt allerdings. Im Tal, knapp zwei Fußminuten entfernt, fließt ein kristallklarer Bergbach und die zarten, grünen Hügel werden von Lisa erklommen, um einen besseren Überblick zu erhalten. In der Zwischenzeit bereite ich das Lager vor, baue die Lagerfeuerstelle und chille ein wenig auf unserem Schlafplatz.
Wir genießen den Ausblick, kochen uns was schönes über der Pfanne (ich glaube, Gretschka) und machen es uns am Feuer bequem. Immer wieder rechne ich im Kopf die Kilometer durch und sehe die Reservewarnleuchte, die jetzt schon brennt, vor mir. Am nächsten Tag heißt es 70 Kilometer bis zur vermeintlichen Tankstelle zu überbrücken. Bohhha, ich habe keine Lust in the Middle of Nowhere stehen zu bleiben.
Wir schalten unser Fernsehprogramm ein und sind von drei Gewitterfronten umzingelt, die zwischen den umgebenden Bergen hin- und herpingpongen. Es stürmt und regnet, aber wir sind sicher und schauen uns die Blitz-Special-Effects aus allen Fenstern aus an.
Unser Ziel ist nah und der Kompressor kommt zum Einsatz
Am nächsten Tag brechen wir wieder früh auf. Ich sitze hinterm Steuer und ziehe alle Register, um spritsparend durch die karge Gebirgslandschaft Kirgistans zu fahren. Langsam beschleunigen, Auskuppeln, wenn es bergab geht und einfach rollen lassen. Die Tanknadel sinkt immer tiefer und ist schon am Anschlag. Auf dem Bergpass den wir gerade passieren, halten wir kurz und sehen am Horizont die Ortschaft, in welcher es eine einzige Tankstelle geben soll. Wir rollen den Passsteinweg hinunter und schaffen es tatsächlich, auf die nächste geteerte Straße zu kommen. Hier rollen wir straight auf die Milizia Station zu und sehen daneben die Tankstelle. Hoffentlich haben die jetzt auch 92er Benzin. Wir stellen uns in die Schlange zum Tanken (und hoffen, dass der Militärlaster vor uns nicht alles wegtrankt) und YES! alles geht glatt.
Mit vollem Tank gönnen wir uns im nächsten Ort ein warmes Mittagessen. Es gibt selbstgemachte Manti, die echt lecker schmecken. Die Kinder von der Gastgeberin sind alle ganz aufgeregt. Viele Touris kommen hier scheinbar nicht lang. Wir stocken in den drei vorhandenen Ortsläden unsere Vorräte auf und reiten dann gen Song Köl. Heute erreichen wir den bestimmt. Schließlich sind es nur noch 45 Kilometer.
Auf der sich nach oben schlängelnden Passstraße machen wir noch einen Fotostopp, als neben uns ein vollbesetztes kirgisisches Auto hält. Zuerst verstehen wir nicht, was sie wollen, aber dank Lischens Russischkenntnissen wird schnell klar, die haben ein Reifenproblem und fragen, ob wir eine Luftpumpe haben. Haben wir nicht, aber dafür einen Kompressor. So ziehen die Fahrgäste des anderen Autos einen Reifen aus dem Kofferraum und haben einen Platten auf der Vorderachse. Wir holen unseren Kompressor heraus, ernten Staunen und ein Lachen, als wir den an die Autobatterie anschließen und die komprimierte Luft langsam in die Reifen strömt. Wir bekommen Kumus angeboten, den wir ablehnen, und einige Camca, die wir genießen.
So fahren wir den Rest des Berges hinauf, um von einem fantastischen Panorama empfangen zu werden. Hier oben ist ein Hochplateau auf 3000 Metern, umringt mit schneebedeckten Gipfeln, in welche ein grünes Wiesental eingebettet ist, in dessen Mitte ein klarer, riesiger Bergsee, der Song Köl, liegt. Was für ein atemberaubender, einzigartiger Anblick. Wir wollen die vor uns fahrenden Kirgisen überholen, die uns jedoch nicht lassen. Nach einem kurzen Gespräch erfahren wir, dass sie noch heute nach Bischkek wollen und ja keine Pumpe dabei haben. Kurzum, also wir die Luftreserven sind. Schnell stellen wir klar, dass wir bis zu nächsten Kreuzung mitfahren, dann aber nach links an den See abbiegen wollen, um uns einen Stellplatz für die Nacht zu suchen. Empfangen werden wir aber erstmal von einem heftigen Hagelschauer. Nice hier.
Den finden wir auch am Ufer des Sees, in einer saftigen grünen Wiese. Kaum angekommen, machen wir uns daran, die Umgebung zu erkunden. Wir hüpfen über kleine Wiesenhügel, zwischen denen es morastig feucht ist. Die Landschaft erinnert mich ein wenig an die Sümpfe im Herr der Ringe Film, als Frodo mit seinen Gefährten durch die Sümpfe gen Mordor reist. Fehlen nur noch die gefallenen Elben in Goldrüstung. Wir finden ein paar Stöcke und auch Tierschädel, sodass wir unser Lager abgrenzen und Markieren können. Ready to build our own tribe. Schließlich sind die Pferde und Kühe schon da und stromern um unseren Lagerplatz herum. Wir sehen, wie die imposanten Wolkenberge von Gebirgskette zu Gebirgskette ziehen und merken, wie die Kälte langsam in uns kriecht. So begeben wir uns in unser Auto und genießen die Nacht, um an nächsten Tag mit klarem Wetter, Sonnenstrahlen, die durch Wolkenlücken strahlen und frisch weiß-bezuckerten Bergen begrüßt zu werden. WOW.
Der Beritt des Peak Connewitz
Nach der dem Genuss des morgendlichen Panoramas beschließen wir, nicht westlich um den See zu fahren, denn hier gibt es keine Straße und man würde vermutlich ewig brauchen, sondern den Peak Connewitz zu besteigen. Lustig, dass es hier, am Ende der Welt einen Berg gibt, der genauso heißt, wie ein Stadtteil in Leipzig. Wir wollen kaum los, als ein silberner 4×4 auf uns zuhält (das ist bei den Weiten dieser Landschaft schon wirklich ungewöhnlich). Es steigen zwei Jungs aus und fragen uns, ob wir eine Panne haben oder sie uns rausziehen sollen. Dafür sind sie extra hergekommen – das ist mal Gastfreundschaft!
Aber wir können ja noch fahren und machen uns auf dem Weg zum nächsten Jurten-Camp. Hier fragen wir, ob wir uns zwei Pferde ausleihen können. Check – heute gibt es einen Reitausflug für 350 Com die Stunde, je Pferd. Ich freue mich schon wahnsinnig drauf, aber Lisa ist noch etwas skeptisch. Schließlich geht es heut zum „ersten“ Mal allein mit einem stolzen Roß los. Wir müssen noch 20 Minuten warten, denn unsere Ansprechpartnerin hat ihre zwei kleinen Brüder losgeschickt, um vom Nachbarcamp ein weiteres Pferd zu holen. Als beide fertig gesattelt sind, steigen auch wir in die Steigbügel und reiten mit Fritz und Jacko gen Peak Connewitz. Man muss ja nicht die höchsten Berge besteigen, wenn man sie auch bereiten kann. Lisa macht auf jeden Fall einen super Job. Ab und zu traben wir oder gehen auch mal in den Galopp, nachdem ich versucht habe, Lisa die Grundzüge beizubringen. Da stehen wir nun oben auf dem Gipfel, wie die Eroberer der Welt und haben einen noch fantastischeren Ausblick als vorher.
Der Song Köl liegt umrahmt vom Hochgebirge vor uns und spielt mit seinen Farben, je nachdem ob über diesem riesigen See gerade Wolken sind, die Sonne durchscheint oder Hagel fällt. Der trifft uns dann auch beim Abritt vom Gipfel und die Pferde tun uns schon leid. So spielen wir mal die lässigen Westernhelden, sitzen in den Sätteln, drehen die Pferde aus der Hagelrichtung und drehen und eine Zigarette. Wir fühlen uns wirklich wie im Western. Anschließend traben Jacko und ich in das Kamp ein und ernten sicherlich ein paar anerkennende Blicke von den JungsJ (Lisa hat die bestimmt nur deshalb nicht gesehen, weil sie gechillt langsam hinterherkam).
Nach einer kurzen Teepause steigen wir dann wieder in Miss Brooks, mit ein paar mehr PS und fahren Richtung anderes Seeufer, an welchem wir heute stehen wollen. Irgendwie geht es uns beiden nicht so gut, aber ich habe mit absoluter Schlappheit und erhöhter Temperatur zu kämpfen. Was ist das nur – Corona, Sonnenstich, Lebensmittelvergiftung?
Lisa fährt richtig sanft auf die andere Seite. Wir schlagen einen schönen Spot, direkt am See aus, da es hier Zillionen von Moskitos gibt und stellen uns unweit eines kleinen Jurtencamps. Ich bin voll fertig und lege mich hinten ins Auto. Lisa bäckt Pfannenbrot. Den Teig habe ich zum Gären in meinen Schlafsack gestellt. Der Teig geht hoch, genauso wie die Spannung zwischen mir und Lisa. Zuerst quillt der Teig aus dem Topf mitten in meinen Schlafsack und dann wird das Wetter noch schlechter. Es stürmt und an draußen backen ist nicht zu denken. Lisa hat sich aber trotz Regen und Sturm in den Kopf gesetzt, das Brot zu machen. Ich mache mir auch Sorgen um Lisa und wir streiten uns, ob es denn überhaupt sinnvoll ist das Brot unter den Bedingungen zu backen. Kann man ja auch wegschmeißen und es reicht wenn einer von uns beiden krank ist. Lisa bäckt das Brot schließlich im Auto, in dem eh schon wenig Platz ist und ich eigentlich nur meine Ruhe haben möchte.
Zum Dank darf Lisa auch unser schönes, kaltes Bier und den Congnac allein trinken. Ich falle in einen unruhigen Schlaf und merke am nächsten Morgen, dass es mir zwar besser geht, ich aber wohl wirklich eine Lebensmittelvergiftung habe. Entweder durch das leicht grüne, aber durchsichtige, lauwarme Wasser, welches ich nicht getrunken habe, aber die Scheiben mit geputzt habe. Oder durch das Anfassen und Streicheln der Pferde, die nicht vor uns geputzt wurden. Meine Lehren habe ich daraus auf jeden Fall gezogen.
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