
Von Slo-Mo bis Zeitraffer: So seltsam ist die Zeit vorm Sabbatical
3. März 2021 | Leipzig, Deutschland | Lisa
Surreal ist wohl das Wort das die letzten Monate am treffendsten zusammenfasst: Erst dauert es ewig, die ersehnte und geplante Auszeit ist noch so weit entfernt wie China oder Hawai – und dann: Plopp – Zeitsprung – bist du dabei, dich zu verabschieden, ist die Wohnung weitestgehend geräumt und all dein Kram fängt wirklich an in diesen Rucksack zu passen. Wahnsinn! Was dazwischen passiert – all die kleinen und großen Dramen und Freuden – davon handelt dieser Beitrag.

Wann geht‘s endlich los?! Fernfieber in Reinform
Es ist verrückt. Da wartest du so lange darauf, dass es endlich losgeht mit der Reise und feierst jeden Meilenstein auf dem Weg dahin:
- Das erste Mal den (künftigen) Chef (beim Bewerbungsgespräch, er wusste also, worauf er sich einlässt) ansprechen.
- Das erste Mal über die Länderauswahl sprechen.
- Das zweite Mal über die Länderauswahl sprechen.
- Ein grobes Zeitfenster festlegen.
- Das Zeitfenster überdenken (Corona).
- Sörens Gespräche mit seinem Arbeitgeber.
- Das dreiundzwanzigste Mal über die Länderauswahl sprechen (auch mal mit Freunden, wir haben beschlossen, dass Corona in zwölf Monaten durch sein sollte… soooo viel Optimismus…).
- Den Besuch im reisemedizinischen Institut, die ersten Reiseimpfungen auf Basis unserer aktuellen Planungen (es wird ernster!).
- Die ersten Entwürfe für den Sabbatical-Vertrag, denn im Gegensatz zu Sören bleibe ich angestellt und werde meine Auszeit durch Gehaltsverzicht vorfinanzieren.
- Die Vertretung im Job organisieren und einen Zwischenmieter für die Wohnung finden (und staunen, dass beides zur Abwechslung mal ziemlich unkompliziert klappt)
Dann kommt Weihnachten und kurz danach: das erste halbierte Gehalt. Während der Gedanke, bei voller Arbeitszeit auf einmal nur noch die Hälfte des Gehaltes zu erhalten, für die meisten wohl eher etwas verstörendes hat, ist es für mich irgendwie befreiend. So stehe ich mit der Lohnabrechnung in der Hand am Fenster und heule vor lauter Freiheitsdrang und Abenteuerlust den Mond an – zumindest gedanklich. Aaaaauuuuuuuuuuuu!!!
Das Neujahrs-Tief
Am Morgen nach Silvester kommt die große Ernüchterung – und zwar nicht einfach schüchtern und leise um die Ecke geschlichen. Nein, sie kommt mit Anlauf und einer großen Keule in der Hand direkt in unser Bett gesprungen, um mir ordentlich einen über die Mütze zu ziehen. Obwohl der Jahreswechsel ja eher ein symbolisches Ding ist, macht er was mit meinem Kopf: Auf einmal sind wir viiiiiieeeeeeel näher am Sabbatical dran und auf einmal sind vor allem die coronabedingten Probleme immens. Ja, ich weiß, die waren am 31.12. schon genauso groß. Und jaaa, Sören hatte da schon länger drauf hingewiesen. Houston verstanden – ist jetzt auch bei mir angekommen. Das Problem an der Sache: Wenn ich als der positiv-romantisch-verklärt-nach-vorn-schauende Part wegbreche, gibt es niemanden mehr, der die im Angesicht der Gesamtlage aufkommenden Bad Vibes neutralisieren könnte. Ist ja auch alles blöd: alle Wunschländer unserer geplanten Route? Zu! Reisen insgesamt? Wird nur immer komplizierter! Die ganze Pandemie? Ein riesengroßes Arschloch. Das ganze Verschieben? Keine Option, dann müsste Sören sich erstmal wieder einen Job suchen, nur um dann möglicherweise in einem Jahr wieder zu kündigen (weil: welcher Arbeitgeber lässt sich schon darauf ein, wenn Mitarbeiter bereits im Bewerbungsgespräch sagen: „Hey, ist alles nett hier, aber in nem Jahr wär ich dann gern erstmal für ein halbes Jahr weg“? Ich kenne genau einen von daher: Danke, Roy!). Außerdem hat Julia, meine sehr gute Freundin und angehende Vertretung, bereits ihren Vertrag unterschrieben, sodass auch ich bereits jobbefreit bin ab März.
Und so liege ich ein bisschen verkatert und mit verdammt schlechter Laune am 1.1. im Bett und zweifle an allem. Sich Münchhausen-mäßig am eigenen Kopf aus diesem Depri-Sumpf zu ziehen, das will uns beiden nicht gelingen. So schauen wir YouTube-Erfahrungsberichte von Aussteigern, um uns wenigstens davon abzulenken, dass wir da immer tiefer reinsinken.
Rettung zur rechten Zeit
Ohne es zu wissen, rufen Katrin und Tommy genau im richtigen Moment an. Und sagen genau das Richtige. Erzählen von einem Paar auf Instagram, das im Dezember trotz Corona in die Auszeit gestartet ist. Nach Sansibar. Wir schöpfen neuen Mut. Und Sören beginnt seine „Insel-Recherche“. Bestimmt, so der Gedanke, gibt es noch mehr isolierte Eilande auf der Welt, auf denen eine Einreise unter bestimmten Bedingungen überhaupt möglich ist. Und werden fündig: Neben Sansibar stehen nun noch La Réunion, Madeira und die Azoren auf der Liste. Das zu Frankreich gehörende La Réunion im indischen Ozean lockt uns mit seiner Vulkanlandschaft, Regenwald und hervorragenden Wandermöglichkeiten. Gebongt! Rother-Wanderführer bestellt! Check. Back on Track, wir haben wieder einen Plan! Bis Ende Januar, als die französische Regierung Reisen nach La Réunion nur noch mit triftigem Grund erlaubt. Wieder zerschmettert. Aber wir sind nicht hier zum Jammern, Backen zusammenkneifen und das Beste draus machen!
Während Sören also erneut die Planungen anpasst und erneut Reisebestimmungen checkt, bereite ich die Einarbeitung für meine Kollegin vor, die am 15. Februar anfangen wird. Wieder so ein Meilenstein. Und auf einmal beginnt die Zeit zu rennen. Sie sprintet förmlich und schwups, sind auch die zwei Wochen Einarbeitung, von denen wir eine bei Julia in Paderborn verbracht haben, schon rum.
Der Endspurt
Jetzt sitze ich im ICE von Paderborn nach Leipzig. Fahre störungs- und ruckelfrei mit konstanter Geschwindigkeit (daran wollen wir uns jetzt mal lieber nicht gewöhnen…) Richtung Noch-Heimat, schau ins mal nebelverhangene, mal sonnenbeschienene Land, sehe Reiher und ein Füchschen auf der Pirsch) und schnabuliere Häppchen für Häppchen aus einem vorzüglich vorbereiteten Care-Paket. Die zurückliegenden zwei Woche Übergabe waren besonders, besonders intensiv, aber auch besonders schön. So ist das wohl, wenn man eine seiner besten Freundinnen einarbeitet. Jetzt sind sie einfach verflogen und ich realisiere, dass ich schon jetzt so richtig raus bin. Nicht zuletzt, weil ich mit meiner Abreise aus NRW auch mein (einziges) Telefon und damit meine vor sechzehn Monaten gerade erst entdeckte kommunikative Freiheit in Form von WhatsApp einfach abgegeben habe. Man erreicht mich jetzt per Mail (okay, zugegeben und über diese Website, Instagram, Skype, Facebook und LinkedIn – aber nur sporadisch!). Eine eigene Telefonnummer habe ich nicht mehr wirklich. Nennt mich altmodisch, aber es fühlt sich auch ein Stückchen frei an. Außerdem werde ich am Montag einfach nicht arbeiten. Verrückt!
Wir wollen in spätestens zehn Tagen weg sein. Wo? Das wissen wir immer noch nicht, also nicht so richtig. Sansibar oder Madeira? Eigentlich hoffen wir immer noch auf La Rèunion, schließlich hat Sören schon eine zweiwöchige Inselüberquerung von Nord nach Süd geplant (natürlich). Aber dort gibt es auch weiterhin kein Reinkommen. Irgendwie schon verständlich, für uns aber der gefühlte nächste Rückschlag, vor allem für Sören, der schon ziemlich darauf steht, wenn alles nach Plan läuft. (Ich glaube, heimlich sieht er sich immer wie Hannibal vom A-Team mit einer dicken Zigarre im Mund aus irgendeinem Transportmittel, das wir natürlich pünktlich erreicht haben, luken und nuscheln „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!“)
Der Startpunkt steht fest (auch mangels Alternativen)
Montagmorgen, 1. März, offizieller Start meines Sabbaticals. Wir haben eine Entscheidung getroffen: Madeira – Punkt. Ein bisschen exotischer hatten wir uns das schon alles vorgestellt, aber vermutlich ist es jetzt an der Zeit, sich für die kommenden sechs Monate einfach per se von allen Vorstellungen zu lösen. Das könnte die Sachen – zumindest emotio-mental – leichter gestalten. Jetzt sitzen wir quasi auf gepackten Rucksäcken (naja, meiner ist gerade noch beim Schuhmacher weil eine Naht sich gelöst hatte – großartiger Mann, tausend Dank!!!).
Ansonsten war die letzte Woche recht busy und orga-lästig (interessant, ihr ahnt, was hier eigentlich stehen sollte, doch die Autokorrektur hat das ganz in meinem Sinne angepasst), daher hier nur die Kurzfassung:
- Flüge gebucht, Unterkunft klargemacht.
- Reiseversicherungen (Kranken-, Rücktritts-, Gepäck-, Corona-, Unfall- und Haftpflichtversicherung, unglaublich, was man alles braucht! Und danke Sören, dass du dich darum gekümmert hast, darauf hätte ich wirklich keinen Bock gehabt!) über Young Travellers klargemacht.
- Nach der Buchung noch mal kurz die Temperaturen auf der Insel gecheckt und kurz hinten übergefallen, 15 Grad – ooops, das hatte mein Kopf wärmer abgespeichert. (Aber hey, so wissen wir jetzt wenigstens, dass die Entscheidung gegen eine Unterkunft mit Pool richtig war)
- Jetzt (noch mal!) die Wohnung putzen, persönliche Sachen verstauen.
- Abschiedstelefonate führen, auch wenn man ja in den heutigen Zeiten gar nicht wirklich weg ist auf Reisen – diese Seite ist ja nur einer von zahlreichen Beweisen dafür)
- Outdooractive Pro Account, den uns die Weltbesten Kollegen geschenkt haben, aktivieren und Routen planen.
- We’re good to goooo goooo goooooooooo!
Like like Love 🙌
Yeah, auf geht‘s 🤟
Respekt, bin stolz auf euch!!! Kussi
Danke🤗
Hannibal Mega ich grins bis über beide Ohren 🤣
… aber stimmt doch, oder???☺️