Aufstieg zum Pico Arieiro

28. März 2021 | Santa Cruz, Madeira, Portugal | Sören

Am Abend vor dieser Tour  trafen wir uns noch mit Theresa (T-Doc), einer jetzt zertifizierten Yoga-Lehrerin (Gratulation!), zum Poncha trinken und scherzten über die 18-km-Wanderung und knapp 3.000 Höhenmeter, die uns bevorstanden. Tatsächlich kam es noch schlimmer als erwartet, die Erschöpfung streckte unsere geschundenen, aber zufriedenen Körper einfach nieder.

Immerhin hatten wir aber den dritthöchsten Berg Madeiras erstiegen und Urwaldabenteuer abseits der Strecke erlebt (und verletzt überstanden). Auf dem Weg zum Gipfel und an jenem selbst sollten uns atemberaubende Aussichten entlohnen und der Blick auf die zwei Seiten des Atlantiks, über die Nord- und der Südseite Madeiras zur gleichen Zeit.

Wenn man sich die Wolkenbildung um die höchsten Gipfel anschaut, wohl ein seltenes Ereignis bei Sonnenschein und klarem Wetter.

Start der Expedition mit dem PR 3.1 – Caminho Real do Monte

Da wir auch diese Tour von Funchal aus planten, hieß es für die Explorer an diesem Donnerstagmorgen erstmal zur Bushaltestelle in der Rua 5 de Outubro laufen und mit dem dem Bus Nummer 20 (2€ pP) Richtung Monte fahren. Wenn man ganz unten an den Cais steht, kann man das Ziel des Busses auf den Hügeln schon ausmachen, eine weiße Kirche mit zwei Türmen. Wir waren froh, diese paar Höhenmeter motorisiert zurücklegen zu können. Oben angekommen hielten wir uns von der Bushaltestelle aus links und legten die ersten Schritte bis zum Beginn des offiziellen Wanderwegs PR 3.1 zurück.

Beim ersten Teil des Caminho Real do Monte handelt es sich um einen Pilgerweg, der von der Kirche im Ortsteil Monte aus steil nach oben führt, an einer „Büßerkirche“ endet und an den Seiten mit Kreuzen ausstaffiert ist, der den Leidensweg Christi nachzubilden. An Feiertagen, sicher besonders um Ostern, würde das bestimmt eine enorme Prozession geben. So waren wir aber zwei Wochen zu früh da und hatten den Weg ganz für uns allein.

Der gepflasterte  Weg schlängelte sich mit zunehmender Steilheit hinauf bis zum Pico Alto und damit auf knapp 1.129 Meter. Am schwarz-weiß gestreiften Gipfelstein offenbarte sich zum ersten Mal der verdiente Panoramablick auf ganz Funchal. In diesem Moment nur nicht nach hinten schauen, denn da wartete der Großteil des Aufstiegs noch auf uns, neben einem weiteren tollen Grill-Spot (scheinbar gehen die die Madeirer am Wochenende gern grillen und es gibt viele tolle, öffentliche Grillplätze), immerhin bei schönstem Sonnenschein. An diesem Punkt endet der PR 3.1 und geht in den PR 3 über, der uns bis auf den Gipfel des Arieiro führen soll.

Über den PR 3 an die Spitze des Pico Arieiro

Weiter ging es, wie auch nicht anders zu erwarten, bergauf. Diesmal aber nicht ganz so steil, anfangs durch einen angelegten „Garten“ innerhalb des Parque ecologico do Funchal und später wieder den Bergrücken entlang. Zwar waren diese abgeholzt und die neuen Triebe verliehen den Berghängen neues Leben, aber so konnte man die Sonne genießen, weit in die Täler schauen und die sanfte Graslandschaften, durchbrochen vom plätschern der Quellen und Bäche, genießen.

Irgendwann hatten wir dann doch die ersten Berge erklommen und erreichten eine sanfte Hochebene vor uns, ebenfalls und wie schon gewohnt, von einem schönen Grill und Zeltplatz gesäumt. Endlich sahen wir auch den Aieiro – unser Tagesziel – vor uns, gekrönt von einer sonderbaren, weißen Kuppel. Es sah fast so aus, als hätten wir uns zu einem anderen Planeten mit Habitat gebeamt. Auf dem Weg zur Spitze, der länger, war als erwartet, kamen wir auch an einem sogenannten, überdachten Eisbrunnen vorbei: eine gemauerte Steinkuppel, die allerdings leer war und uns nicht mit dem gedachten, köstlichen, kühlen Nass versorgen konnte. Nach einer weiteren knappen Stunde und vielen, vielen Stufen hatten wir die steilen Hänge erklommen und befanden uns auf der Spitze des dritthöchsten Berges Madeiras und direkt vor der spacigen Radarkuppel der Luftstreitkräfte von Portugal.

Die Aussicht auf beide Seiten der Insel genossen wir mit einem ausgiebigen Snack und dem, von einem einheimischen Besucher angebotenen Kirschlikör (Ginja). Kurz überlegten die Explorer, ob sie nicht noch „schnell“ die Tour zum Pico Ruivo anschließen sollten (14 km und 4.000 Höhenmeter, siehe Beitrag alsbald), entschlossen sich aber dagegen. Es muss ja auch mal gut sein.

Der Kampf um den Weg abwärts (oder: wie wir lernten, dass wir auf Madeira nur noch offizielle Wanderwege gehen und uns nicht auf Outdooractive verlassen)

Eigentlich (jeder Satz, der mit eigentlich anfängt, relativiert diesen ja auch gleich wieder) dachten wir, dass wir die Tour zurück, also abwärts, doch recht gut und schnell schaffen sollten. Nach den ersten Kilometern mussten wir aber feststellen, dass uns Outddoractive auf eine Rückroute gesetzt hatte, die gar nicht mehr existierte. So standen wir am Fuß des Pico Escalvado, einem Fingerhut aus Geröllbrocken und suchten einen einigermaßen begehbaren Pfad, der uns durch das wuchernde Dickicht führen würde. Dann glaubten wir, den Ausweg gefunden zu haben. Aber Glauben ist eben nicht Wissen und so schlugen wir uns anfangs durch lichte, aber bald immer dichtere Gingsterüberwucherungen (ja, es heißt Ginster und nicht Gingster, aber so passt es mehr zu einem ganz ähnlich klingenden, viel passenderen Wort: Gangster), bis wir zwar am Fuß des Felsberges standen, aber weder vor noch zurück konnten. Unsere einzige Möglichkeit war, Teile des Bergs, der anscheinend ausschließlich aus wackeligen Felsen bestand, zu erklimmen und die Hoffnung nicht fallen zu lassen, auf der anderen Seite wieder einen Weg (wie auch auf der Wanderkarte verzeichnet) zu finden. (Anm. Lisa: Jap. Ich weiß, spätestens DAS wäre der Punkt, an dem jeder normale Mensch gesagt hätte „Mensch, dreht doch einfach um!“)

Und nach dem Gekraxel? Nichts da. Kein Weg, nur derbstes Gestrüpp. So fühlt man sich von der Hoffnung und der Wanderkarte verarscht. Vor uns hatten wir zwar in knapp 250 m Luftlinie eine Straße, aber zu der sollten wir nicht mal einfach so gelangen. Zurück? Keine Option, denn wir wollten uns nicht noch einmal die Kilometer und Treppen bis zum Arieiro antun, gegen die Handmannsche Regel verstoßen (gehe keinen Weg zweimal) und uns noch einmal durch den Gingster schlagen. Aber vor uns war auch nur der Gangster-Gingster auf einem nicht einsehbaren, steil abfallenden Berg. Trotzdem, und das müssen wir uns im Nachhinein als totalen Leichtsinn eingestehen, gab es für uns nur den Weg nach vorn.

Wenn man nicht da war, kann man sich das nur schwer vorstellen. Aber den Weg nach unten gab es nicht. Der Gingster war so krass gewachsen, dass man nicht zwischen den Büschen durchlaufen konnte, sondern auf ihm. Wir sahen weder Steine noch festen Untergrund und brachen oftmals mit den Füßen ein, die Wanderschuhe blieben dann zwischen den Ästen hängen, sodass man den Fuß nicht freibekam, strauchelten, wurden durch die Äste gefangen und holten uns viele Kratzer und Schrammen. Einmal verlor ich sogar den Halt und stürzte 2 Meter in die Tiefe, um zuerst mit dem Unterleib und dann fast mit dem Kopf auf einen Felsen zu schlagen. Glück im Unglück, ich hatte „nur“ zwei riesige blaue Prellungen und ein paar Abschürfungen an meinen Oberschenkeln. In diesen Momenten, ein zurück gab es nun auf keinen Fall mehr, denn wir steckten mitten im steil abschüssigen Gingsterwucher, denkt man schon darüber nach, wie man sich und den Anderen retten könnte, wenn man nicht weiter kommt, oder sich ernsthaft verletzen würde. Mehrmals kraftlos auf dem Gingster sitzend, erholten wir unsere ganze Körpermuskulatur, bis wir nach knapp 90 Minuten (für 250 Meter) die Straße jubelnd erreichten. WTF!!!!!

Fortan ging es nur noch bergab, auf eine „vernünftige“ Wanderstrecke achtend und über steile Bergrücken strauchelnd, bis wir São Roque um 17:30 Uhr erreichten. In der ersten Bar, die wir fanden, genossen wir 2 eiskalte, mehr als verdiente Bierchen und warteten auf unseren Rückbus zu den Cais in Funchal. Der Weg zu unserer Unterkunft (normalerweise immer krass steil, krass anstrengend) war gegen das, was wir an diesem Tag erlebt hatten, ein Klacks. Mit so viel Abenteuerin den Knochen konnten wir zu Hause nur noch müde, glücklich und erschöpft ins Bett fallen, um der wohltuenden Erholung zu huldigen.

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Die Tour im Überblick

Der Song, bei dem ich weinen muss und der bei meiner Beerdigung gespielt werden soll
(neben der DJane mit der elektronischen Tanzmusik)

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