Zwischen den Gipfeln

29. März 2021 | Prazeres, Madeira, Portugal | Lisa

In meinem Kopf ist dies die Mutter aller Madeira-Wandertouren. Vielleicht weil es der Weg Nummer eins ist, vielleicht aber auch, weil es wohl kaum etwas Erhabeneres geben kann, als auf schmalen Graten, über Tunnel und Treppen, Leitern, Pfade und Stiege bis zum höchsten Berg der Insel zu gelangen. Dabei sind Weg und Wetter so abwechslungsreich, dass es sogar okay ist, auf dem Rückweg gegen die handmannsche Regel zu verstoßen und die gleiche Strecke zurückzugehen. Und obwohl zwischen den beiden Gipfeln gerade mal 44 Meter Höhenunterschied liegen, kommen wir laut Outdooractive nach 14 Kilometern Strecke auf rund zurückgelegte 4.000 Höhenmeter.

Woher kommt eigentlich dieses Faible für Sonnenaufgänge?

Wir hatten bereits, als wir den Pico Arieiro von Funchal aus bezwungen hatten, die Tafeln für den Weg zum höchsten Berg, den Pico Ruivo, gesehen. Während wir damals tatsächlich spaßeshalber überlegt hatten, den „Abstecher“ zu diesem Gipfel dranzuhängen, sind wir am Ende dieser Tour reichlich froh, es nicht getan zu haben. Aber dazu später mehr. 

Ich gebe zu, es war mein Wunsch, dass wir versuchen, den Ausgangspunkt für den PR1, den Pico Arieiro, vor Sonnenaufgang zu erreichen. Von Funchal aus wäre das auch wirklich kein Ding gewesen. So aber wohnen wir inzwischen wieder am anderen Ende der Insel in Prazeres, was bedeutet, dass wir für meinen Wunsch kurz nach fünf Uhr aufstehen müssen. Immerhin sind die Straßen um diese Zeit noch komplett verlassen, ich versteh die Madeirer, meine Zeit ist das auch nicht! Aber hey, ganzer Einsatz für beeindruckende Bilder, nicht wahr? Wir starten also bei sternklarer Dunkelheit im Westen und sehen noch eine Handvoll Fischerboote draußen auf dem Wasser blinken, bevor uns die große Perle der Insel entgegenschimmert – Funchal. Hier verlassen wir die Küste und schlängeln uns nordwärts bergan (und wir staunen, dass wir das alles schon gelaufen sind).

Mit dicken Augen in den kalten Nebel starren

Kurz bevor wir den Parkplatz des Arieiro erreichen, warnt der Mietwagen: Achtung, Glatteisgefahr! Moar! Soooo kalt? Nun gut, Augen zu und durch – verpassen würden wir aktuell mit geschlossenen Augen sowieso nichts, denn es herrscht nichts, als dichter, weißer, undurchdringlicher, monotoner Nebel. Zusammen mit eiskaltem Wind. Beste Voraussetzungen für eine Tour von Gipfel zu Gipfel. Sören schlägt vor, dass wir wie einige, die bereits vor uns angekommen waren, einfach im Auto auf besseres Wetter warten. Aber das hilft ja auch nichts, also los!

So gehören wir zu den wenigen, die sich trotzdem auf den Weg machen. Der Pfad führt seitlich am Gipfelkreuz des Arieiro vorbei, wir können ihn ungefähr 40 Meter weit sehen, danach und zu den Seiten des Wegs: Schemen oder gar nichts. Ist ein bisschen so, als würden wir auf einer Brücke über die Wyrdnis oder einen Kessel aus brodelnder Hexensuppe schreiten. Es ist wirklich deprimierend, denn auch wenn der Weg selbst wirklich ganz schön ist, kann er doch erstmal nicht dafür entschädigen, dass wir einfach mal gar nichts sehen, was jenseits der Stahlseile der Wegbegrenzung liegt. Wir gehen natürlich trotzdem weiter und als wir den ersten steilen Abstieg erreichen, schafft es die Sonne gerade, ein paar Fetzen des Nebels beiseitezuwehen, sodass wir tatsächlich mit Ausblicken belohnt werden. 

Und die Aussicht scheint zu bleiben, denn offenbar sind wir jetzt weit genug abgestiegen (irre ich mich, oder wollten wir auf den höchsten Berg?), um unter der Nebeldecke laufen zu können, sodass die Sicht jetzt insgesamt (nicht freundlicher, aber immerhin) besser wird. Es folgen eine Menge Tunnel (Wahnsinn, die wurden da offensichtlich von Hand reingetrieben, warum?!), Treppen, teils abgerutschte Hänge, teils von Gingster überwucherte Wege (ich spüre, da verfestigt sich gerade etwas zu einem Trauma), dann wieder Stufen, mal rauf, mal runter.

Die Zombiearmee von Madeira

Nebel wird ja nicht umsonst gern von verschiedensten Regisseuren als perfektes Setting für allerhand Grusel-, Horror- oder Psychomäßiges genutzt. Und ich muss sagen: zu Recht. Wir sind inzwischen wieder in etwas höhere (und damit nebligere) Lagen gekommen und hier luken aus dem Nebel nur die verdrehten, weißen, blattlosen Stümpfe scheinbar toter Bäume aus dem weißen Wabern hinaus, wie eine ganze Armee von Scheintoten, die genau auf uns zuhält. Unwirtlich unwirklich.

Wir erreichen die 1939 errichtete Schutzhütte (wie lang die wohl einem Zombieangriff standhält?) und fragen uns, wer damals mit welchen Mitteln Baumaterial hierher geschleppt hat und warum. Also, hier oben ist wirklich nicht viel und alle Wege, die hierher führen, dürften ähnlich beschwerlich und für Autos gänzlich unpassierbar sein. Nun ja, heute gibt es dort ein Café und WCs, nicht die schlechteste Idee, schließlich bietet der Wanderweg so gut wie keine Möglichkeit zum diskreten Austreten.

Wo ist das Gipfelkreuz?

Von hier sind es nur noch ein paar hundert Meter bis zum Gipfel. Nennt mich naiv, aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das überwinden der letzten Höhen dazu führt, dass wir über den Wolken-Nebel-Kladderadatsch gelangen und mit dem Blick auf einen strahlend blauen Himmel belohnt werden, von dem aus die Sonnenstrahlen auf die dicke Suppe unter uns scheinen, ungefähr so. Hier schlägt Realität knallhart zu und sagt: Nö. Es ist neblig und es bleibt auch die nächste halbe Stunde so neblig, dass wir nichts außer unserer Plattform sehen. Und ich merke: ich sollte mir im Vorfeld einer Tour (wohin oder worauf auch immer) weniger Bilder anschauen. Als wir komplett durchgefroren sind und alle Vorräte (Käseschnittchen, gekochte Eier, Bananen, Brausepulver und den madeirischen Honigkuchen Bolo do Mel) weg haben, beschließen wir, dass es wohl heute nicht mehr besser wird und treten den Rückweg an. Puh, ordentlich! Dadurch, dass sich die Gipfel in der Höhe kaum etwas nehmen, und man auf Bergkämmen und entlang an Hängen zwischen den massiven Gebirgsmassiven geht, führt der Weg dauernd bergauf- und ab. Das ist zumindest insofern abwechslungsreich, als dass Pomuskulatur und Kniegelenke gleichermaßen an die Grenzen führt, aber keines von beiden durchgängig strapaziert.

Immerhin wird die Sicht wieder besser und kurz vor Erreichen des Arieiro tut sich eine riesige Wetterscheide auf, an deren Kante wir die letzten Meter entlangschreiten. Wahnsinn! Links: der Wind weht unablässig den Nebel gegen die Bergflanke und treibt die Fetzen in die Höhe. Rechts: freier Blick bis auf die Südküste Madeiras, über die bunten Berghänge, die teils steil aufragenden Zinnen und Grate in den Tälern und das satte Grün ganz unten in diesen Felseinschnitten. So haben wir zwar definitiv nicht das zu sehen bekommen, was wir erwartet hatten, werden dafür aber mit völlig anderen, atemberaubenden Ausblicken belohnt. Ist also ein bisschen, wie unser gesamtes Sabbatical. Spannend.

Die Tour im Überblick

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Claudia

    Krasse Tour mit wunderschönen und urigen Aufnahmen. Respekt!! War mit Sicherheit anstrengend aber ich kann das nachfühlen, wie sehr einen dann die faszinierenden Blicke für die Strapazen belohnen und wie sie erden…erinnert mich sehr an unsere Wanderungen auf La Palma, obwohl es da eben deutlich wärmer war… da bekomme ich Lust.
    Macht weiter, ihr Entdecker!!!
    Kussi Mum / Claudia

    1. Explorer

      Haha, ja krass trifft es ganz gut. So haben wir uns danach auf jeden Fall auch gefühlt :D. Vor allem aber echt abwechslungsreich. Wie geschrieben: trotz wenig Aussicht bei uns würde ich diese Tour echt empfehlen. Kussis back!

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