Goldgräber, Hippies und Kosmonauten am Issyk-Kul-See

17. August 2021 | Skopje, Nordmazedonien | Lisa

Die letzte Etappe unseres Kirgistan-Roadtrips mit Miss Brooks führt uns in den Osten des Landes, der mit Wetterphänomenen vom Typ Endzeitstimmung und einem Märchencanyon aufwartet. Wir entdecken eine russische Militärbasis, die gleich neben einem Hippiecamp am zweitgrößter Salzsee der Welt liegt und düsen über die beste Straße Kirgistans auf über 4.000 Meter Höhe

Der Himmel wird zur Drama Queen

Nach zwei Tagen auf dem beeindruckenden Hochplateau des Song-Köl-Sees, einigem Frösteln bei fünf Grad am Morgen und Unwohlsein bei Sören brechen wir unsere Zelte ab – ganz im Gegensatz zu den Kirgisen, die sich jetzt, Mitte Juni, in vollgestopften Lastwagen (Baujahr schätzungsweise 1980) die eng gewundene Passstraße hinaufquälen, um dort ihre Jurten-Sommercamps aufzubauen.

Für den Verkehr, der in den kommenden Wochen hier zu erwarten ist, ist die Piste in denkbar schlechtem Zustand, aber wir vertrauen einfach darauf, dass die Kirgisen das schon meistern werden. Die raue Idylle des Hochplateaus wirkt mit ihren Blau- und Grüntönen, den weißen Gipfeln und Pferdeherden und Jurten schon bizarr, doch das Dort, in das die Passstraße schließlich mündet, scheint ganz und gar nicht von dieser Welt zu sein. Überall rot-gelb-orange Einschnitte, die Häuser sind ocker, alles scheint von diesem Farbschema dominiert – einzige Ausnahme bilden die einst farbenfrohen T-Shirts der Kinder, die Miss Brooks und uns zuwinken. Am Horizont ziehen dazu noch schwere, schwarze Gewitterwolken auf. Mehr Endzeitstimmung hätte auch Roland Emmerich nicht auf die Leinwand gebracht.

Montezumas Rache in der Gestalt eines Fisches

Immerhin wechselt der Untergrund bald darauf wieder auf Asphalt, oh, ich habe ganz vergessen, wann wir das zuletzt hatten! Also pesen wir durch bis zur nächsten Siedlung, wo wir uns gerade rechtzeitig in einen alten Bauwagen zu frittiertem Fisch und einer Kanne Tee zurückziehen und vor dem Hagelschauer in Sicherheit bringen. Aber was für einer! Hinzu kommt, dass der Fisch, den Sören abbekommen hat, offenbar einer der ganz freiheitsliebenden Sorte war, denn er zwingt den Armen umgehend, eines der bestialisch nach Ammoniak riechenden Séparées (Türen gibt es nicht, die Mauern sind nur halbhoch) mit Plumpsabort aufzusuchen. Ay ay ay, Pippi war ja schon nicht schön hier, … nun ja, ich lasse den Rest mal so im Raum duften.

Am Nachmittag finden wir einen weiteren großartigen Camping-Spot an einem Fluss mit Sandbank und richten uns dort gemütlich ein. Da hier unten endlich mal wieder die Sonne scheint, nutzen wir die Gelegenheit zum Wäsche waschen und bereiten ein kleines Lagerfeuerchen vor (ich liebe Lagerfeuer!). Am Abend kommen noch drei Angler vorbei und später ein freundlicher Mann, der sagt, er sei von der Ochrana. Ich kenne das Wort ja nur aus russischen Agentenromanen und mit den Jungs will man definitiv nichts zu tun haben. Aber Googlen macht schlau und so finde ich später heraus, dass das Wort eigentlich nur „Schutz“ bedeutet und unser Gegenüber offenbar für den Gewässerschutz zuständig ist. Denn er erkundigt sich, ob wir Fischer gesehen haben. Auch das schnalle ich dann aber erst im Bettchen, im Gespräch denke ich, dass er fragt, ob wir Fische gesehen hätten – und versuche zu erklären, dass wir sie nur hören, aber nicht sehen konnten. Nun ja, er sieht offenbar ein, dass das mit uns nichts wird und wünscht eine gute Nacht, die wir dann auch haben.

Tian Shan – ja oder nein?

Am anderen Morgen machen wir alles für unseren Aufbruch klar. Wir haben lange überlegt, ob wir „noch mal schnell“ nach Bishkek fahren, um unsere Erlaubnis für das Grenzgebiet zu China, also den Osten und die im Südosten gelegenen Ausläufer des Tian-Shan-Gebirge zu holen, aber wir entscheiden uns dagegen, denn zum einen sind wir inzwischen ein bisschen automüde und zum anderen geht nichts, wirklich nichts, was mit von A nach B kommen zu tun hat, in Kirgistan wirklich schnell. Außerdem wäre es dort selbst mit unserer Super-Baumwolldecke ziemlich frostig geworden und wir hätten dann in Bishkek noch das Auto tauschen müssen, denn unsere Miss Brooks ist bereits verbucht. Wir entscheiden uns also dagegen und düsen durch mondmäßige Landschaften in die Region Issyk Kul, wo sich der gleichnamige (und im Übrigen zweitgrößte Salzsee der Welt) befindet.

Die Perle Kirgistans

Wir erhaschen schon bald erste Blicke auf diesen größten und viel gepriesenen See des Landes und sind wieder einmal beeindruckt vom Farbenspiel: türkisblau schimmernd sticht die Perle Kirgistans aus dem schroffen grau-orange der umliegenden Berge. Unser erster Stopp am Strand hinter einem großen Sowjet-Denkmal ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn hier sind selbst tagsüber Trilliarden von Mücken unterwegs! Also folgen wir der Straße noch ein Stück und biegen dann in einen Canyon aus getrocknetem Sand ab, an dessen Ende wir einen weiteren Strand finden, ganz in Kirgistan-Manier natürlich mit berauschendem Bergpanorama. Am Abend versuche ich noch landestypisches Feuermachen – holzsparend mit getrockneten Pferdefladen, schließlich gibt es in diesem Land eine zahlreiche Orte ohne Holz, aber mit Unmengen von Pferden. Fladen um Fladen findet so seinen Weg in die Flammen und einiges an Cognac in mich. Funktioniert auf jeden Fall beides hervorragend!

Das Mekka der verlorenen und vergessenen Orte

Leicht verkatert schäle ich mich am nächsten Morgen aus der Koje, unser Frühstück teilen wir heute mit einer riesigen Ameisengang und machen uns dann an die weitere Seeumrundung. Je nachdem, ob die Straße gerade direkt am See oder etwas davon entfernt verläuft, ist die Landschaft entweder voller grün überwucherter Felder oder roter Canyons. Zur Mittagspause stoppen wir in einem kleinen Lokal mit Lagman (Asiatische Suppe mit Udonnudeln und Fleisch) für Sören und endlich eine Portion Plov (typisches Reisgericht mit Gemüse und – natürlich – Fleisch) für mich, beides unglaublich lecker. Da wir hier mal wieder Internetempfang haben, nutzen wir die Zeit auch zur weiteren Länderrecherche, doch leider hat sich Corona-bedingt wenig geändert, von den Ländern, die wir auf unserer Wunschliste haben, ist weiterhin keines für uns erreichbar. Geknickt, aber immerhin satt fahren wir weiter. Hier beginnt die wahre Urlaubsregion, so jedenfalls scheint es auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinschauen entpuppen sich die meisten Anlagen als zerfallene oder im Verfall begriffene Bettenburgen und Ferienressorts, die vermutlich noch aus Sowjetzeiten stammen. Wenig später erreichen wir einen verlassenen Park voller Wandgemälde mit landestypischer Motiven. Die ganze Anlage verströmt den maroden Charme eines Vergnügungsparks aus den 60er Jahren, lediglich die noch relativ leuchtenden Farben deuten darauf hin, dass dieses Bauprojekt noch gar nicht so alt sein kann. (Später erfahren wir von einer Kirgisin, dass es sich dabei wohl um eines der vielen Projekte der Vor- oder Vorvorregierung handelt, die nach der jeweiligen nächsten Revolution einfach fallengelassen wurden).

Wir wollten es nicht glauben, aber der Märchencanyon macht seinem Namen alle Ehre

Auf dem Programm für heute steht noch eine Aufgabe: der Besuch des Fairytale-Canyons. Er ist als eines der großen Highlights sogar auf der Karte unseres Autoverleihers eingezeichnet. Wir sind zunächst skeptisch, denn wir haben ja bereits so unsere Erfahrungen gemacht mit kirgisischen Ausflugs-Highlights – aber für 50 Com (50 Cent) pro Person kann man ja nicht so viel verkehrt machen. Die Einfahrt reichlich unspektakulär und wir witzeln bereits, dass es das wohl war – doch wir sollen noch positiv überrascht werden: Eine spannende Felsformation, nein, eigentlich viele verschiedene, tun sich vor uns auf, gelb gestreifte Hügel, ockerfarbene Kleckerburgenwände, schroffe rote Gänge dazwischen, das sieht wirklich alles ziemlich verrückt und gleichzeitig verzaubert und wunderschön aus! Theoretisch könnte man im Canyon wohl auch übernachten, aber wir wollen Seeblick und so verlassen wir diesen magischen Ort, um auf der anderen Straßenseite auf einer kleinen Landzunge mit Sandstrand den Abend bei Lagerfeuer (hatte ich es bereits erwähnt? Ich liebe Lagerfeuer!) und glühendem Himmel ausklingen zu lassen.

Das wirklich merkwürdige Naturschutzgebiet

Der Zauber des Vortags scheint verflogen: es ist bewölkt, Söris Bauch ist immer noch nicht wieder voll hergestellt, Haare waschen ist kalt und das Fahren macht uns keinen Spaß. Ich fürchte, wir sind reisemüde. Dennoch machen wir vormittags einen Abstecher in den Barskoon-Canyon, ohne genau zu wissen, was uns dort erwartet oder wie weit wir kommen, denn irgendwo auf der Strecke müsste der Posten stehen, der unsere Grenzerlaubnis (die in Bishkek liegt und digital wohl nicht akzeptiert wird) sehen möchte. Die Schlucht ist erstaunlich weitläufig und erinnert uns an Ala Artscha, so viele Nadelbäume, so große Felsbrocken. Gerade staunen wir über den hervorragenden Zustand der Piste, da rauscht ein weiterer Tanklaster an uns vorbei, der aus uns unerfindlichen Gründen die Straße sprenkelt. Kurz darauf, etwa auf Höhe des Juri-Gagarin-Denkmals, das hier mitten im Nirgendwo reichlich deplatziert wirkt, lesen wir, dass in iOverlander, dass auch andere Nutzer so Dinge schrieben wie „Beste Dirt Road Kirgistans“ – ich gehe sogar einen Schritt weiter und behaupte, die nahezu beste Straße überhaupt im ganzen Land! Wir können hier ohne Probleme mit 80 langheizen (ja, das ist hierzulande schon ein Erlebnis)! Jedenfalls bis zum Checkpoint, an dem der Naturschutzgebietswächter uns registriert und sich noch mehrfach versichert, dass wir auch wirklich Touristen sind – okay…. Habe ich mich jetzt irgendwie verdächtig verhalten? Auf jeden Fall macht sein Verhalten mich jetzt skeptisch. Nun ja, wir fahren erstmal weiter und finden jetzt zumindest schon einmal heraus, wohin alle die eskortierten Lastwagen, die heute Morgen an unserem Schlafplatz entlanggedonnert sind, hinwollten. Als wir das gesehen haben, dachten wir noch „Mensch, vertraut die Regierung ihren Leuten so wenig, dass sie Tanklaster und LKW bewachen lässt? Welche Transporte zwischen Bishkek und China erfordern solchen Aufwand?“ Jetzt wissen wir schon mal, dass sie nicht nach China fahren, sondern uns voraus schön aufgereiht die Serpentinen hoch – auf einer Straße, die unseres Wissens irgendwo mitten in den Bergen endet. Das ist alles reichlich mysteriös, bis ich in iOverlander schließlich einen Eintrag im Nirgendwo finde, keine Straße ist dorthin verzeichnet, obwohl es, wie wir später sehen werden, eine gibt. Hier in den Bergen liegt die achtgrößte Goldmine der Welt, wohlgemerkt, mitten im „Naturschutzgebiet“.

Wir überholen Laster um Laster, während die Temperatur mit jedem Höhenmeter weiter sinkt und wir die ersten Schneefelder passieren. Als die Straße sich gabelt und wir den Weg wählen, der nicht zur Mine führt, lässt auch die Qualität der Straße abrupt nach. Weit kommen wir jedoch nicht mehr, denn inzwischen bedecken bereits einige Schneewehen die Fahrbahn und wir fürchten, die Anhöhe, auf der wir gerade stehen, nicht mehr hinaufzukommen, sollten wir erst einmal unten sein. Nein, hier liegenbleiben wollen wir nicht – also begnügen wir uns mit ein paar Fotos auf 4.000 Metern Höhe, frieren uns den Pobbes bei 1 Grad Celsius bei schneidendem Wind ab und kehren um.

Wie wir den Ort finden, den wir jetzt brauchen

Zurück auf der Hauptstraße und bei erträglicheren Temperaturen suchen wir nach einem netten Café oder ähnlichem, aber Fehlanzeige, obwohl die ganze Region ja eigentlich touristischer Hotspot ist, gibt es hier wenig, sodass wir schließlich in ein wirklich sehr rustikales Lokal einkehren. Immerhin hat Sören hier die Gelegenheit, die für den Osten der Issky-Kul-Provinz typische, kalte Suppe Ashlan Fu zu probieren, während ich wieder einmal mit einer zu großen Portion Manti kämpfe. Halb im Futterkoma finde ich in iOverlander eine Empfehlung für einen Zeltplatz in der Nähe – wohl eine Art Hippiecamp. Klingt gut, denken wir, brechen auf, nehmen noch einen Kirgisen ins nächste Dorf mit und erreichen nach Passieren einer (ist das wirklich eine russische Flagge?!) Militärbasis das Hippohae Camp: Grasland, Hängematten, ein Labyrinth aus Büschen, in das kleine Buchten für Zelte geschnitten wurden, entspannte Leute und ein kleiner, schicker Strand. Jap, hier können wir erstmal bleiben.

Hummern in den heißen Quellen

Aus den anfänglich geplanten zwei Übernachtungen werden insgesamt viereinhalb Tage in dem chilligen Hippohae-Camp. Ich lerne, Träumfänger zu machen und Sören ist happy, als er endlich mal wieder eine „richtige Aufgabe“ hat, er kann Asliddin, einem Tadschiken, der aktuell in Bishkek lebt, beim Bau einer Strandplattform helfen. Mit dem halben Camp fahren wir einen Nachmittag zu den heißen Quellen von Ak-Suu. Unter dicken Wolken erreichen wir den Badeort, an dem es vier verschiedene Becken gibt: kochend heiß, heiß, warm und flusskalt. Das erstgenannte kocht natürlich nicht wirklich, aber wer dort einsteigt, hält es kaum länger als ein paar Sekunden aus und hat beim Versuch, möglichst schnell wieder hinauszukommen noch das Gefühl, wie ein Hummer bei lebendigem Leib gegart zu werden. Jetzt schnell runter zum Fluss und einen Eimer des wirklich kalten Nasses drüberkippen, von dem ich das Gefühl habe, es verdampft einfach direkt auf meiner Haut – ganz so, als wäre ich der Aufgussstein einer finnischen Sauna. In Ak Suu lernen wir auch noch zwei Littauer kennen, die ganz am Anfang ihres dreiwöchigen Urlaubs in Kirigstan stehen und denen wir so sehr vom Camp vorschwärmen, dass sie ihre Unterkunft in Karakol spontan canceln und nach einem üppigen Mahl im Ethno Café mit uns zurückfahren. Bei strömendem Regen juckeln wir so jetzt vollbeladen über die holprige Piste vorbei an der Militärbasis, die uns mit ihren Suchscheinwerfern sehr genau ins Visier nimmt, erreichen wir Hippohae, verquatschen und vertrinken die Zeit bis zur Morgendämmerung, die sich langsam hinter den filigranen Linien des riesigen Traumfängers in der Open-Air-Küche abzeichnet. Den nächsten Tag verbringen wir dementsprechend faul in der heute gütigen Sonne, baden in dem See, von dem wir mittlerweile wissen, dass die Russen ihn früher als Torpedo-Testgebiet verwendet haben, schnacken und relaxen. Den Abend läutet die Campgemeinde mit einem riesigen Lagerfeuer ein und Pascha, ein junger Bishkeker, der Deutsch spricht und wenige Tage später Sörens neuer Lieblingsbarbier werden soll, erzählt von den Revolutionen, die dieses Land in den vergangenen Jahren erlebt hat. Von dem Chaos, den Scharfschützen auf dem Parlamentsgebäude, den Toten und den vielen zerstörten Läden, vor allem 2010. Als sich nach den Wahlen 2020 eine ähnliche Entwicklung abzeichnete, hat er sich zusammen mit vielen anderen Freiwilligen engagiert. Durch Menschenketten und ähnliches sei es so gelungen größere Zerstörungen abzuwenden.

Am Sonntag heißt es schließlich für uns: Bye bye Hippohae und leider auch: Bye bye Miss Brooks. Zusammen mit Kristina und Asliddin geht es nach drei Wochen unvergleichlichen Roadtrips, einzigartiger Landschaften und unzähliger Begegnungen mit liebevollen und herzlichen Menschen zurück in die Hauptstadt.

Der ganze Roadtrip durch Kirgistan!

Hier findest du alle Beiträge über unseren dreiwöchigen Roadtrip durch das Land der Pferde, Berge und Nomaden.

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