
Farmlife as a Volunteer – Das ist doch alles Käse (Teil 1/2)
11. Januar 2022 | Leipzig, Deutschland | Sören
Mitten in unserem Sabbatical überkommt es mich schon zum zweiten Mal. Reisen, neues zu erleben, durch die Natur zu streifen und neue Städte sowie Menschen kennenzulernen sind gut und schön, aber Söri braucht eine Aufgabe. Spätestens nachdem uns zwei Freude mehr als begeistert von ihren Volunteer-Erfahrungen berichtet haben, war auch Lisa von der Idee angetan. Alsbald legen wir uns ein Profil auf der Plattform workaway.info an, recherchieren die ersten Jobs und schreiben mehrere Hosts an.
Entschieden haben wir uns für ein Abenteuer à la Farmerama in Montenegro – nur in echt. Der Gedanke, mal zu erleben, wie das Farmerleben sein kann, was es bedeutet, sich mit den Tieren auseinanderzusetzen und zu lernen, wie man Käse herstellt, gefällt uns. Wir sind auf jeden Fall gespannt, wie viel unsere romantische Vorstellung von Landwirtschaft zwischen grünen Feldern und Selbstversorgung mit unseren tatsächlichen Erfahrungen gemein haben wird.

Die Qual der Wahl – Welchen Wohnwagen beziehen wir?
Wir werden in Budva abgeholt, was für ein Service. Noch vor ein paar Tagen haben wir mit Olga und Alex geschrieben, unseren Gastgebern, denen wir in den kommenden Tagen auf der Farm helfen wollen. Ein bisschen mulmig ist uns schon zumute, denn was ist, wenn das alles doof ist und man sich nicht versteht? Wie ist wohl der Tagesablauf und wie reagieren die Tiere auf uns? Aber als wir uns gegenüberstehen und begrüßen gibt es erstmal kein Zurück mehr. Wir packen unsere Sachen in den Van und unterhalten uns auf der Fahrt nach von Budva auf die deutlich dünner besiedelte Halbinsel Lustica im Westen von Montenegro darüber, woher wir kommen, über welche Erfahrungen wir verfügen und halten den üblichen Smalltalk. Olga macht uns auf verschiedene Sehenswürdigkeiten aufmerksam und erzählt Anekdoten zu Dörfern und Landstrichen, durch die wir fahren. Informativer geht es praktisch nicht. Olga und Andrej kommen aus Russland und sind schon seit ein paar Jahren in Montenegro. Zuerst arbeiteten beide in der Tourismusbranche und kauften später ein Stück Land, um dort mit einer Kuh und ein paar Ziegen in das Käsebusiness einzusteigen – ohne große Vorkenntnisse. Aber warum auch nicht, in Montenegro findet man kaum mehr als den hierzulande als Feta oder Hirtenkäse bekannten Weißkäse, der oft genug zu Hause hergestellt wird, während man die guten Käsereien wohl an einer Hand abzählen kann. Schon deshalb scheint das Business der beiden gerade auf dem Weg in die schwarzen Zahlen zu sein.
Während wir uns unterhalten, fahren wir weiter dem Ziel in Merdari entgegen. Links von uns liegt Lustica-Bay, eine Luxushotelanlage, extra für gut zahlende Gäste aus dem Boden gestampft. Haben die schon gut gemacht. Die Anlage – im Stil eines verschlafenen Küstendorfs – wirkt wie aus einem Werbeprospekt für das unbeschwerte Leben. Es gibt eine eigene Marina, einen Leuchtturm, viele Hotels und kleine Häuser, einen Boulevard mit diversen Geschäften, eigene Pools und eine Promenade zum Schlendern. Demnächst soll unweit noch ein 18 Loch Golfplatz entstehen. Das kann man sich fast nicht vorstellen, denn neben uns rauscht die felsige, mediterrane, braune und von überwiegend knusprigen Büschen übersäte Landschaft vorbei. Hier sieht nichts nach einer grünen Anlage aus. Wo soll dafür überhaupt das Wasser herkommen. Brunnen und natürliche Wasservorkommen scheint es hier kaum zu geben. Selbst die Farmen und Anwohner bestellen Tanklastzüge mit Süßwasser, die einmal im Monat die Tanks unter den Häusern vollpumpen. Aber ok, wo Geld ist, ist auch ein Weg und bei der Anlage – irre. Wir spielen mit dem Gedanken, am Ende unseres Farmaufenthalts hier eine Nacht zu verbringen. Ein kurzer Check der Preise bei booking.com lässt uns das Vorhaben aber schnell ad acta legen. Nach knapp 90 Minuten Fahrt treffen wir an unserem Domizil ein. Klar grün ist es hier auch nicht, aber wir werden gleich von einer Hundeherde begrüßt, den Kindern Lisa und Ivan (Spitzname Vanya) vorgestellt und dürfen uns vor der Farmführung eine Schlafmöglichkeit aussuchen. Immerhin stehen drei Wohnwagen zur Auswahl, die allesamt eigentlich kaum zu bewohnen sind. Wuusscchhh und Bähhmm – der erste Tiefschlag sitzt schon ganz gut. Alle Camper sind in einem verlodderten Zustand und da sind Lisa und ich wirklich nicht sehr anspruchsvoll. Überall liegt Dreck und Stroh herum. Es stehen alte offene Dosen und eingetrocknete Gläser und Tassen herum und die Fenster sind teilweise kaputt. Wir entscheiden uns für den kleinsten Wohnwagen und räumen erstmal die alten Wäschereste des Vorvolunteers raus, machen ein wenig Ordnung, beziehen alles neu und räumen etwas auf, bevor es zur Farmführung geht.
Ivan, der Farmerssohn ist aufgeschlossen und spricht gutes Englisch, er zeigt uns alles, führt uns zur Futtervorbereitungsstelle, zu den Zicklein und Ferkeln (sweet) sowie dem Hausschwein Fiffi, das Narrenfreiheit hat, zum altersschwachen Esel Maga, zu den Ziegen, die wir in den nächsten Tagen gemeinsam (dachten wir) zweimal täglich ausführen werden, zu den Kühen sowie zu Timir, meinen Lieblingshirtenhund und Bella, Lisas Hund des Herzens. Ivan erzählt uns wenig motiviert, was alles zu tun sei und dass wir am Abend zum ersten Mal mit Furunkel, Gandalf und den anderen Ziegen auf die „Weide“ (nicht grün!!!) gehen (dazu später mehr). Wir erkundigten uns noch nach Trinkwasser und ein paar Regeln im Haus. Naja, das war dann schon nicht mehr so kommunikativ – keine Fragen von uns, keine Antworten oder eine nette Einführungstour. (say nothing). Aber gut, wir sind ja am ersten Tag, kann sich alles noch bessern und man muss sich eben erst kennenlernen. So nehmen wir erstmal unser Abendessen ein
An diesem Abend ziehen wir noch unsere Stall-Ausgeh-Gummistiefel an und folgen Andrej zur Vorbereitung des Futters, tragen Tröge und Heu nach oben und folgen voller Spannung der Melkprozedur. Die beginnt mit dem Anbinden von Timir, der sonst die Kühe jagt, der strengen Ordnung in der Reihenfolge, welche Kuh zuerst in den Stall darf, da sonst die Randalierereien losgehen und fast der Stall zerlegt wird. Ich denke mir schon bei dem Anblick, dass ich nicht zwischen einer 400 Kilo-Kuh und ihrem Futter stehen möchte. Ok, soweit alles gut, die Kühe fressen, wir putzen die Euter und auf geht es mit der Erklärung des Melkens und der Eigenheiten der Kühe. Da haben wir die chillige Kuh ganz links, die High-Performance Milchkuh (zwölf Liter Milch am Tag), welche sich gern in den eigenen Ausscheidungen suhlt und die revoltierende, austretende Kuh, die absolut under-performt. Wir gehen in die Hocke (das ist verdammt anstrengend, denn Melkschemel gibt es nicht) passen auf, keinen Tritt von einer Kuh zu bekommen und umfassen die Zitzen. Strip, Strap, Strull – geht es jedoch nur bei Andrej und Olga. Lisa und ich sind froh, wenn wir ein paar kleine Strählchen herauspressen können und sich unser kleiner Becher im Zeitlupentempo füllt. Während es bei uns langsam tropft, pressen die Melkmeister die Milchstrahlen in die Becher. Kraaaasssss. Irgendwann bekommen wir aber schließlich auch den Dreh raus. Mit der Hand die Zitze umschließen, wie mit einem Luftballon das obere Ende der vollgelaufenen Zitze umschließen und wie bei einem Ring abdrücken und schließlich mit etwas Druck die Milch nach unten herausdrück-ziehen. Dies muss in einer flüssigen Bewegung erfolgen und wenn die Zitzenöffnung erstmal etwas geöffnet ist, geht das schon ganz ok. Wichtig: immer die ersten ein bis zwei Spritzer Milch jeder Zitze nicht in die Becher füllen, da hier noch Bakterien enthalten sein können.
Es ist anstrengend und nach knapp einer Stunde sind wir fertig. Voller Stolz sehen wir die circa 20 Liter Frischmilch, die wir in das Milchhaus tragen (haben wir bisher nur beschrieben und noch nicht gezeigt bekommen und DAS wird sich auch während unseres gesamten Aufenthalts nicht ändern – WTF?!). Ab jetzt war es also Fort Knox für uns. Es ist spät und wir wollen schlafen gehen, denn schließlich heißt es morgen 6:30 Uhr aufstehen und die Ziegen ausführen.
Ziegen füttern und hüten, gar nicht so einfach
Nachdem wir am Vorabend schon eine kleine Runde mit den Ziegen, Ivan und Bella gedreht haben, geht es am Morgen etwas ruhiger los als gedacht. Wir sind pflichtbewusst und schon ganz aufgeregt pünktlich zur Stelle, aber Vanya schläft scheinbar gern ein wenig länger. Ihm sei es gegönnt und wir fangen an, das Wasser in den Gehegen aufzufüllen, den Tieren ein paar Streicheleinheiten zu geben und das Heu zu verteilen. Als Ivan zu uns kommt, bereiten wir das Futter für die Kühe vor (Vitamine und eine aufgeweichte Masse aus Mais und Getreidepellets), die man schön mit der Hand durchrührt. Wichtig ist, dass das Mischverhältnis stimmt. Das lassen wir so stehen und bringen das „Frühstücksporridge aus Wasser-Pellet-Brei“ zu den Ferkeln und Zicklein.
Anschließend versammeln sich schon die großen Ziegen bei uns im Nachbarbereich – Zaun auf, klatschen und schon folgt die Herde auf den Fuß. Wir begleiten die Ziegen (21 Stück, immer schön zählen! Ist aber gar nicht so einfach) auf die „Weide“ und schauen zu, wie sich die Tiere genussvoll die Blätter der tiefhängenden Zweige einverleiben, am Boden grasen und die Büsche abfressen. Es riecht fast wie in einem Kräutergarten. Irgendwann schläft Ivan auf einer selbstgebauten Schaukel ein und wir sind allein mit den Ziegen. Diese wühlen und kämpfen sich durch das Gestrüpp den Berg hoch. Keine Chance allen oder auch nur einer einzelnen zu folgen. Wir werden unruhig. Gehen uns gerade die Ziegen verloren? An Tag eins unseres Ziegenhüterpraktikums? Was machen die da oben? Denn an die Olivenbäume des Nachbarn dürfen die nicht, das haben wir gestern schon gelernt. Nach ein paar Minuten sind alle Ziegen ins Dickicht verschwunden, wir machen uns Sorgen und laufen von links nach rechts. Ivan ist aber ganz entspannt. Das machen die wohl immer und kommen nach ca. einer Stunde wieder oben rum, um dann in die Gehege getrieben zu werden. Trotzdem sind wir nervös, alle Ziegen sind weg. Nach der besagten Stunde schließen wir das Südgatter hinter uns und sehen am Nordgatter schon einige Ziegen stehen, sie sich am dort von uns abgelegten Heu laben. Also schnell hoch und wie bei Heidi die Ziegen in das Gatter treiben, was zugegebenermaßen schwieriger ist, als gedacht. Wir rennen mit breiten Armen wie ein Adler auf Beuteflug hinter den Ziegen her und versuchen diese in die richtige Richtung zu dirigieren. Das muss ein seltsames Bild sein. Von oben sieht es bestimmt wie ein wilder Aztekentanz in Kostümen aus.
Als alle Ziegen wohl geparkt sind, beginnt auch der Futterzug bei den Kühen. Zuerst bekommt der Ochse einen Teil des Futters aus den Boxen, die wir hochgetragen haben (immer 2×2 Handschaufeln aus jedem der drei Tröge), dann ein Eimer für die „Baby-Cow“ und anschließend bringen wir die Tröge entsprechend der Reihenfolge rein. Kaum angekommen stürzen sich die Kühe auf das Futter und wir beginnen mit „waschen-Heu nachfüllen-trocknen-melken“, fast wie beim Friseurbesuch. Am Ende ist der Milchkanister voll und wir bringen ihn als Prozedur, wie bei einer Götterverehrung, nach Fort-Knox.
Tägliches Farmerleben – Unser Tagesablauf
Um einen Eindruck vom Landleben zu erhalten, bei dem wir ja auch nur kurze Gäste waren, hier unsere Organisation des Tagesablaufs. Wenn das also die Landwirtschaftsidylle ist, sollte jeder eine Woche einen solchen Job machen, um zu sehen, inwieweit man dafür bereit ist.
- 06:30 Uhr aufstehen und fertigmachen
- 07:00 Uhr Futter für die Kühe vorbereiten
- 07:10 Uhr Wasser auffüllen und Futter, welches bereits am Abend vorbereitet wurde zu den Zicklein, Ziegen, Ferkeln und Schweinen bringen
- 07:30 Uhr Ziegen ausführen und hüten
- 08:30 Uhr Ziegen zurück in das Gatter bringen (21 Ziegen und keine weniger! Dass einige später anderweitig durch Löcher im Zaun ausbüchsen ist ein anderes Thema)
- 08:45 Uhr Kühe füttern und Melken
- 09:30 Uhr Milch nach Fort Knox bringen
- 09:45 Uhr Frühstücken
- 10:30 Uhr Werkzeug zum Hausbauplatz bringen und Hausbauen
- 15:30 Uhr Wasser für die Tiere nachfüllen, Freizeit, laufen zum Strand und baden gehen (manchmal wird man auch mitgenommen)
- 18:00 Uhr Ziegen ausführen und hüten
- 19:00 Uhr Ziegen zurück in das Gehege bringen (21 Ziegen und keine weniger!)
- 19:15 Uhr Futter zu den Kühen bringen und Kühe melken
- 20:15 Uhr Milch nach Fort Knox bringen und Futter für den nächsten Tag vorbereiten
- 20:30 Uhr Abendessen und Freizeit