
Der Plan – Teil 1: Theorie und Wirklichkeit
11. August 2021 | Leipzig, Deutschland | Sören
Was würde ich machen, wenn ich sechs Monate Zeit nur für mich hätte – diesen Gedanken hatte sicherlich jeder schonmal. Wie ich ein solches Vorhaben angegangen bin und welche Voraussetzungen grundsätzlich bei der Ausgestaltung für den Arbeitgeber und für sich selbst Beachtung finden sollten, dass habe ich im folgenden Beitrag zusammengefasst.
Neben meinen Beweggründen habe ich insbesondere den Aspekt des Sabbaticals in Verbindung mit der Geschäftsführerschaft aufgegriffen.
Woran sollte man denken und warum klappt einiges doch nicht so wie geplant?

Woher kommt der Plan?
Wenn ich mich recht entsinne, stammt die Idee für das alles von Lisa. Sie bereiste schon immer gern und über längere Zeit die Welt, um Länder, Kulturen und Menschen zu entdecken. Somit kann man die Auszeitwohl als einen Lebenstraum bezeichnen. Irgendwann schwappte der Gedanke wohl auf mich über und ich fand die Idee mit der Zeit immer attraktiver. Nicht, dass ich hier über den Film Inception schreiben möchte, aber irgendwie hat es mich gepackt, wenn auch etwas anders als Lisa.
Klar, ich liebe es auch, Neues zu entdecken und Menschen, Länder und Lebensweisen kennenzulernen und mich vorsichtig heranzutasten und schließlich, mit Lisas Kommunikationstalent, mitten im Leben unserer jeweiligen Location wiederzufinden. Jedoch spielen für mich zweifelsohne auch andere Beweggründe eine Rolle. Dazu jedoch weiter unten.
Gestartet sind wir mit losen Gedankenspielen, bis es schließlich vor knapp eineinhalb Jahren konkreter wurde. Lisa fing einem neuen Job an und ich sprach mit meinen Kollegen offen über die Möglichkeit einer Auszeit von mindestens sechs Monaten. Mit der Zeit wurden die Ideen und Vorstellungen konkreter. Wir begannen, über ein Zeitfenster unserer Reise zu sprechen und machten die ersten diffusen Schritte auf dem Weg zu unserem Sabbatical.
Während es bei Lisa relativ schnell eine Zusage von Seiten ihres Chefs gab, der selbst über ein Jahr mit seiner Frau die Welt bereist hatte, wollten sich in meinem Job nach einer anfänglichen Euphorie keine rechten Fortschritte einstellen. Ok, als Mitglied der Geschäftsführung ist das vielleicht auch nicht so einfach, aber wo ein Wille existiert, werden wir ja wohl gemeinsam eine Lösung finden können.
Sabbatical als Geschäftsführer – Das geht doch gar nicht!
Jein! Wenn man sich einzelne Foren und Beiträge im Internet anschaut, scheint es jedenfalls nicht unmöglich zu sein. Nun gab es in unserer Firma bisher noch keine Möglichkeit, ein Sabbatical zu nehmen, oder es strukturiert und planvoll für alle Angestellten gleichermaßen zu ermöglichen. Mit einer gehörigen Portion Motivation ging ich also an die Sensibilisierung und Wegbereitung. Dazu muss man sagen, dass dem Konzeptteam von uns bearbeitete Beratungsprojekte zu Themenbereichen wie Arbeitswelten, Arbeit 4.0, Unternehmenskultur etc., in die Hände spielten. Immer wieder sprach ich so in den Geschäftsführerrunden eine Konzeptentwicklung für Auszeit und Sabbatical an, bis diese es auch auf die Agenda für interne Strategieprojekte schafften. Yeahhh.
Klar, dies ist prinzipiell kein Novum. Andererseits: in einem mittelständischen, eher konservativen Unternehmen schon. Schließlich wollten wir ja nicht nur Unternehmen bei der Transformation beraten, sondern selbst zeigen, wie das Ganze funktionieren kann. Nach etwa sechs Monaten Arbeit, Rücksprachen mit Anwälten und dergleichen mehr, hatten wir ein aus zwei Modulen bestehendes Konzept vorliegen. Ich möchte an dieser Stelle schon einmal vorwegnehmen, dass sich beide Ansätze am Ende nicht für mich als Lösung erwiesen.
Für mehr Informationen gibt es im Internet reichlich Input. Eine erste Übersicht für ebenfalls Interessierte geben folgende Seiten:
Arbeitgebersicht zu unbezahltem Urlaub
Modul 1 – Eine kurze Auszeit für einen Monat
Der Arbeitgeber kann den Mitarbeiter für längere Zeit unbezahlt oder bezahlt freistellen. Unser Anliegen bei der Konzeption eines firmeninternen Auszeit-Modells war es aber, ein Sabbatical zu kreieren, welches einfach, rechtlich sicher und fair von allen Mitarbeitern in Anspruch genommen werden kann. Das Konzept sah vor, dem jeweiligen Mitarbeiter die Möglichkeit zu geben, alle zwei Jahre eine kurze Auszeit zu nehmen. Krankenversicherung, Sozialbeiträge etc. laufen dabei weiter.
Wenn man um die vier Wochen „Sonderurlaub“ noch den verbleibenden Jahresurlaub legt, kann das Sabbatical so ohne Probleme auf mehr als zwei Monate verlängert werden, während die Sozialabgaben vom Arbeitgeber weiter getragen werden. Ein Benefit also nicht nur für denjenigen, der das Sabbatical in Anspruch nimmt, sondern auch für den Arbeitgeber hinsichtlich Motivatoren, Alleinstellungsmerkmal auf dem Jobmarkt, „neue“ Arbeitszeitmodelle, Erweiterung des Mindsets, Burnout-Vorbeugung, Mitarbeiterzufriedenheit etc. Eine Vergütung durch den Arbeitgeber während des vier-wöchigen Sabbaticals war in diesem Fall nicht vorgesehen. Aber selbstverständlich spricht nichts dagegen, dem Mitarbeiter etwas Taschengeld, zum Beispiel in Form eines Bonus, mit auf den Weg zu geben.
Modul 2 – Eine längere Auszeit von bis zu sechs Monaten
Ziel war es, Mitarbeitern die Möglichkeit für eine längere Auszeit zu geben – so wie ich es selbst ja auch in Anspruch nehmen wollte. Dieser Ansatz birgt für den Angestellten gleich zwei positive Aspekte: Erstens kehrt man nach der Auszeit in seinen Job zurück und zweitens ist neben den Zahlungen von Sozialabgaben, Krankenversicherung etc. auch eine monatliche Vergütung inbegriffen. Außerdem kann man sich verschiedene Behördengänge sparen (priv. Altersvorsorge, Rentenversicherung, Arbeitsamt, Krankenversicherung etc.), was die private Vorbereitungszeit etwas entspannter gestaltet.
Kernpunkte des Moduls 2 sind dabei:
- Unternehmensgröße von mehr als 15 Mitarbeitern
- 6 Monate vor dem Beginn des Sabbaticals anmelden – Eine Planbarkeit von Seiten des Arbeitgebers ist also gegeben
- Gewährung in Absprache mit der Geschäftsführung und in Abstimmung der Aufträge
- Ansparphase (also z.B. 50:50, das heißt für sechs Monate auf 50 Prozent des Gehalts verzichten und anschließend Auszahlung des gesparten Gehalts über die sechs Monate Sabbatical)
- Betriebszugehörigkeit von mind. zwei Jahren
- Vertreter einarbeiten
- Alle Sozialabgaben werden über die sechs Monate weiterbezahlt
Zwei Einschränkungen muss man dabei hinnehmen:
Man muss wieder in den Job. Insbesondere wenn eine Nicht-Kündigungsklausel im Vertrag verankert ist. Somit kann man nicht einfach in den sechs Monaten die Entscheidung treffen die Auszeit zu verlängern.
Man zahlt von seinem Gehalt die Krankenversicherung etc. weiter, obwohl man eh eine Auslandskrankenversicherung hat. Ja, dafür ist man für weitere Zwischenstopps in Deutschland krankenversichert, aber das ist bei verschiedenen Krankenversicherungen (z.B. Young Travellers) bis zu einem bestimmten Prozentsatz (nachsehen) in Tarif schon mit abgebildet.
Zwei Lösungen und doch keine für mich dabei?
Nachdem wir die Ausgestaltung des Sabbatical-Konzepts abgeschlossen und in die Holding als Maßnahme für die Kolleginnen und Kollegen implementiert hatten, kam leider meine Ernüchterung. Nicht, dass es nicht möglich gewesen wäre, Modul 2 auch für Mitglieder der Geschäftsführung zu nutzen, insbesondere vor dem Hintergrund der Gleichheit im Unternehmen und der damit verbundenen Ausstrahlungskraft eines wirklichen Kultur- und Wertewandels, nein es waren kleine Steine, über die ich stolperte.
Ich hatte meinen Wunsch also mit genügend Vorlauf angekündigt, mich beworben und erfüllte die oben genannten Voraussetzung, und doch konnte ich meine Auszeit nicht über die Firma nutzen. Denn als Geschäftsführer wollte ich gern einen Passus in meinem Sabbaticalvertrag, der mich nicht nur von den Rechten als GF, sondern auch von den damit einhergehenden Pflichten entbindet. Das heißt für den Extremfall, wenn ich nicht entscheiden kann, wohin das Unternehmen geht, will ich auch nicht für eine etwaige Insolvenz haftbar gemacht werden.
Klang für mich eigentlich ganz logisch und einfach… aber… der Vertrag kam nie zustande. Warum? Vielleicht war der Anwalt zu teuer, vielleicht gibt es einen solchen Passus nicht, vielleicht war das Mindset meiner Kollegen doch noch nicht soweit. Nach über einem halben Jahr des wiederkehrenden Ansprechens realisierte ich, dass es wohl nie zu einer Möglichkeit des Sabbats für mich kommen würde. Tja, soviel zu Wunsch und Wirklichkeit.
Unter EXPLORER steht, dass ich den Job an den Nagel gehängt habe. Stimmt! Nur zur Vollständigkeit, es waren am Ende andere gewichtige Gründe für meine Kündigung verantwortlich, nicht der nicht zustande gekommene Vertrag. Aber zu jedem vollständigen Puzzle gehören eben auch kleine Stücke.
Hinsichtlich des Sabbaticals möchte ich dennoch die sich ergebenden Schwierigkeiten aus meiner Wahrnehmung benennen.
Meine Learnings sind also:
- Transparent mit allen Beteiligten sprechen und die eigenen Wünsche und Vorstellungen äußern
- Genug Vorlaufzeit einplanen, mindestens ein Jahr, wenn der Arbeitgeber bislang keine Sabbatical-Modelle anbietet
- Wenn man eine Rechtsberatung hat, diese frühzeitig einbinden und ggf. Vorschläge für verschiedene Abschnitte des Vertrags erarbeiten lassen
- Abklären und hoffen, dass man die richtigen Personen im Boot hat
Meine Beweggründe
An die Frage eines meiner Kollegen, warum ich denn ein Sabbatical machen möchte und ob das denn unbedingt sechs Monate dauern müsse, kann ich mich noch gut erinnern.
Also gut, warum möchte man ein Sabbatical, eben eine Auszeit machen? Die Beweggründe sind sicherlich vielfältig, jedoch für jeden einzelnen berechtigt und respektabel. Bei mir waren es nicht die äußerst anspruchsvollen drei Jahre in der aktuellen Position, von denen ich mir Erholung erhoffte. Eher ist es ein Potpourri an Gründen, wobei ich selbst noch nicht weiß, ob die daran geknüpften Erwartungen auch erfüllt werden.
- Was mich am meisten reizt, ist der Gedanke, vollkommen abzuschalten und den persönlichen Wünschen und Neigungen eine höhere Priorität zu verleihen, als es im durchstrukturierten Alltag in Deutschland und einer verantwortungsvollen Position möglich ist. Einfach den Gedanken frönen, dass man ja nach einem Monat noch fünf Monate „Freiheit“ hat und den eigenen Rhythmus einfach deutlich herunterfahren kann. Daraus resultierend möchte ich offen für ganz neue Dinge sein, die sich mir eröffnen und für die man auf einmal Zeit hat. Ich bin der Meinung, dass neue Dinge Zeit brauchen. Würde Goethe denn heute neben einem Job Faust ersinnen und schreiben können? Oder King die Dunkler-Turm-Reihe?
- Nun ja, außerdem bin ich jetzt 42 Jahre und irgendwann ist man an einem Punkt der Lebensplanung, an welchem eine Auszeit noch einfach erlebbar, machbar ist. Für mich stand fest, dass ich mein Sabbatical nicht als Vater machen möchte und auch nicht, wenn ich 60 bin. Irgendwie kommt das für mich nicht in Frage.
- Ich möchte nach über 15 Jahren Karriere und langen Arbeitswochen mit Verantwortung für andere erleben, wie es ist, einfach ein paar Monate nicht im Hamsterrad zu leben. Ein kleines Stück kontrollierte Freiheit möchte ich es nennen. Ich möchte die Zeit haben, meinen Geist mal länger als die obligatorischen zwei bis drei Wochen Erholungsurlaub auf andere Dinge zu fokussieren und während dieser Zeit nicht an Projekte, Finanzen und das Unternehmen denken müssen.
- Außerdem möchte ich die Zeit haben, diese imaginäre Freiheit von sechs Monaten so zu verbringen, wie ich das möchte – selbstbestimmt, ohne die Sorgen des Alltags in Deutschland, der Möglichkeit, wenn ich es denn wollte, auch die ganze Zeit an einem Ort zu verbringen und damit Teil der dort lebenden Gesellschaft zu werden. 3-5 Wochen Urlaub, wenn diese denn so lange genehmigt werden, sind dabei einfach zu wenig.
Klar, habe auch ich ab und zu den Gedanken während des Sabbaticals das Große und Ganze zu erkennen und anschließend den großen Plan für mein weiteres Leben zu haben. Es ist schön sich diesem Gedankenspiel hinzugeben, aber ich denke nicht, dass die große Erleuchtung kommt. Ich glaube eher, dass das Gewinnen von Abstand zu neuem Denken anregt und wenigstens die Möglichkeit eröffnet, abseits unseres geordneten und geregelten Lebens mit neunen Eindrücken, Stimuli einzelnes neu zu überdenken und zu bewerten. Oder man lässt sich eben einfach mal treiben und wird zum bewussten Rezipienten. Was genau bei meinem Sabbatical herauskommt? Ich weiß es nicht, aber ich bin gespannt.
Soviel schonmal vorweg… Allein in der Planungsphase lerne ich viel über Agilität, Frustrationskompensation und das ständige Gefühl, den Plan des Sabbaticals aufgeben zu müssen, weil uns Corona einen Strich durch die Rechnung machen könnte.
Mehr zu der Ganzen Story des Plans in den jeweiligen Teilen:
Der Plan – Teil 2: Der Plan des Plans
Der Plan – Teil 3.1: Wie könnte man ein Auto in Zentralasien kaufen und überführen
Der Plan – Teil 3.2: Wie könnte man ein Auto in Zentralasien kaufen und überführen
Pingback: Teil 3.1: Autokauf in Zentralasien – MEGA
Nach dem Lesen hab ich Lust noch mehr in eure Gedanken einzutauchen. Ich bin gespannt 🙂
Das darfst du sein – hoffen wir, dass die Motivation konstant auf dem Level bleibt 😀 Grüßle, Lisa