
Der Lykische Weg (3) - Zu Fuß von Fethiye bis Antalya
23. Mai 2021 | Antalya, Türkei | Sören
Nach zwei Wochen Relaxing und PADI Tauchausbildung in der wunderschönen und entspannenden Stadt Kaş treibt es die Explorer weiter, auf den zweiten Abschnitt des Lykischen Wegs. Die Etappen von Fethyie bis nach Kaş haben wir schon gemeistert, nun setzen wir uns das Ziel, nach Antalya zu gelangen und die Ostküste Lykiens zu erkunden. Insgesamt werden wir zehn Tage unterwegs sein und über 150 Kilometer zurücklegen.
In diesem ersten Teil des zweiten Abschnitts geht es für uns erneut über Wanderpfade mit viel Geröll, wir berichten über nervige Kilometer, während derer wir zweifeln, was wir denn da eigentlich machen und warum wir uns nun auch noch den zweiten Abschnitt antun, aber auch von Bekanntschaften sowie deren Abstürzen und Verirrungen, wunderschönen Plätzen und Buchten und schließlich von der Entdeckung des „Paradieses“ mit dem Fisherman sowie einem Kino-Tanzabend mitten unter Palmen.
Wer den Anfang unseres Wanderabenteuers noch nicht kennt, startet am besten mit Teil 1 – wie wir in Fethiye starteten Kaş.

Etappe 10 – Jandarrrrmmaaaalaaarrmmm
Länge: 13,2 Kilometer
Start: Kaş
Ende: Parkplatz mit Strand bei Üzüm Iskelesi
Dauer: ca. 8 Stunden
Nach dem Frühstück im Kaş Luna Hotel machen wir uns voll bepackt und mit den nötigen Vorräten auf den Weg gen Süden. Vorbei geht es mittels kurzer Klettertour an einigen in den Felsen gehauenen Lykischen Gräbern. Die Sonne brennt schon wieder unerbittlich. Da wir nicht wissen, wie oft wir unsere Wasservorräte auf natürliche Weise auffüllen können, kaufen wir an der etwas abgelegenen Bucht hinter Kaş noch einmal eine Flasche – wenn auch zu vergleichsweise hohem Preis.
Vorbei geht es auf dieser Etappe an traumhaften Buchten, insgesamt werden wir heute an fünf Stränden vorbeiziehen, ohne zu baden. Eigentlich sollte man meinen, dass man keinen so einfach unbebadet links liegen lassen dürfte, da das klare Nass bei Temperaturen etwas über 30 Graf definitiv Erfrischung verspricht. Aber die Sonne macht einen faul, die verschwitzten Klamotten immer wieder auszuziehen. Außerdem verrinnt die Zeit unerbittlich, wenn man einmal anfängt, zu baden und die Glieder im poolblauen Wasser von sich zu strecken. Es gehört dann immer mehr Motivation dazu, den einmal gefundenen Platz im Schatten von Bäumen und der Möglichkeit auf das Schwimmen, zu verlassen.
So gehen wir weiter und gönnen uns eine erste Pause bei einer Hütte, unterhalb einiger Häuser, an der auch gerade eine riesige Wandergruppe von Ukrainern (30 Menschen) ihr Lager aufgeschlagen hat. Scheinbar hat die organisierte Wandergruppe dort extra Verpflegung geordert, wodurch wir in den Genuss gekühlter und geschenkter Äpfel kommen sowie eiskaltem Wasser aus dem Kühlschrank.
Die Kräfte sind nun aufgeladen und wir machen uns auf die zweite Hälfte des Weges. Die Lust am abendlichen Baden lässt uns etwas früher unser Lager errichten, als geplant. Außerdem, und das ist nicht zu unterschätzen, gibt es an dem Parkplatz einen Frischwasserbrunnen. Am Abend kommt noch die Gruppe Ukrainer an sowie ein paar Türken, die trotz Ausgangssperre ein BBQ veranstalten.
An diesem Abend lernen wir Nata (ukrainische Anwältin auf Selbstfindungskurs) kennen sowie die Türken, die uns eine große Portion von ihrem BBQ abgeben (Fladenbrot, scharfe Paprika, Kanat). Schlau wie Söri ist, macht er auch einen Mopedfahrer aus, der zum nächsten „Merkezi“ fährt und Lisa und Sören noch ein Bier besorgt, was uns anschließend ein paar Sorgen bereitet, als nämlich die Gruppe BBQ-Türken zu uns kommt und sich herausstellt, dass ein Jandarma-Angestellter dabei ist. Folgender Dialog spielt sich daraufhin ab:
Jandarma zeigt auf die Flasche: „Efes?“
Lisa: „Yes, Efes is the best.“
Jandarma zeigt auf sich: „Jandarma“
Lisa macht ein unschuldiges Gesicht und dreht die Flasche um: „Empty“
Jandarma schreibt auf WhatsApp seinem deutschen Bekannten auf Türkisch, dass dieser übersetzen soll: „Woher habt Ihr das? Es ist verboten, Bier zu verkaufen!“
Lisa antwortet schnell, dass wir es aus dem letzten Ort mitgebracht haben (höhööö, no way, den Fehler hab ich einmal gemacht!), um unseren Kurier nicht zu belasten. (Clever ;))
Uns geht durch den Kopf, dass ja auch das Ausgehen und Grillen verboten ist (landesweiter harter Lockdown mit vollständiger Ausgangssperre für Türken). Wie kann sich denn dann eine Gruppe Kumpels beim Barbecue am Strand treffen? Naja, aber was wissen wir schon? Schließlich haben die Jungs ja auch die Jandarma dabei und dürfen das bestimmt. Auf geht es nach der Sichtung eines patrouillierenden, blaulichternden Küstenwachbootes in die Koje zum Schlafen.
Etappe 11 – Zwischen Hexensteinen, Grabmälern und dem Purple House (keine Horrorstory)
Länge: 17,6 Kilometer
Start: Parkplatz mit Strand bei Üzüm Iskelesi
Ende: Zeltplatz vor Kaleüçağız
Dauer: ca. 8,5 Stunden
Heute geht es schon um 8:30 Uhr auf die nächste Etappe. Es lohnt sich also doch, das Zelt in östliche Ausrichtung zu bringen, um möglichst früh aufzuwachen und die etwas kühleren Morgenstunden für die ersten Kilometer zu nutzen. Anfangs geht es wieder bergauf, bis wir nach fünf Kilometern den ersten Ort Boğazcik erreichen, wo am örtlichen Zeltplatz ein Brunnen und die ukrainische Wandergruppe schon auf uns warten. Auch wir rasten und trinken uns sitt.
Nachdem wir uns und die Wasservorräte wieder aufgefüllt haben, gelangen wir durch ein Tal mit Blicken auf mehrere alte Ruinen und – natürlich: Felsen. Zur Abwechslung jedoch große Exemplare. Die Anordnung und die ausgespülten Felssteine könnten fast für einen Hexenfilm herhalten. Trotz der schon aufsteigenden Hitze wirkt alle mystisch, fast wie eine sonnige Version des Zauberwaldes auf Madeira. Vorbei geht es an einem verlassenen Dorf bergab zu der nächsten menschlichen Ansiedlung, die aber schon ein paar Jahrtausende älter ist – der alten Lykischen Stadt Apollonia mit zig Gräbern. Die Gräber sehen hier ziemlich gepflegt aus. Klar, sind von den aus einem Stein gehauenen Grabblöcken schon vereinzelt die Grabdächer heruntergestürzt und alle Gräber sind aufgebrochen, aber dennoch lässt die Anordnung auf eine größere und reiche Siedlung schließen. Das Wasser ist so klar, dass man sogar einzelne Tombs im und unter Wasser stehen sieht.
Nicht mal 200 Meter weiter erhalten wir Eintritt in einen weiteren verzauberten Ort – das Purple House. Das Anwesen muss man wohl betreten, wenn man auf dem Lykischen Weg diesen Inseleinschnitt begehen möchte. Wir öffnen das Tor und gehen einen gepflegten Weg entlang, sehen bald vereinzelte Hütten, in denen man wohl nächtigen kann, einen schönen, wilden Garten und Sitzgelegenheiten mit einladenden Polstern. Wir werden auch gleich begrüßt und gefragt, ob wir nicht rasten wollen. Wir beide schauen uns an und sind uns einig: „Jepp, auf jeden Fall!“ Wir trinken einen Tee, unterhalten uns mit dem Eigentümer und erfahren, dass der Name „Purple House“ nicht aus einem drittklassigen Horrorfilm statt, sondern nach dem Rohstoff benannt ist, der früher von den lykischen Einwohnern hier gewonnen wurde. Dies ist ein violetter Farbstoff, der aus den hier vorkommenden Muschelbewohnern gepresst und extrahiert wurde (also doch ein bisschen Splatter).
Weiter geht es zuerst flach, dann wieder bergauf und bergab, bis wir zu unserem Zeltplatz nahe Kaleüçağız kommen, den wir mit Jenny, einer Russin aus Sibirien, die wir schon am Tag zuvor kurz kennengelernt hatten und im Purple House überholt hatten, in Beschlag nehmen. Nach dem Baden gestaltet sich die Kommunikation einfacher als gedacht. Mit Jennys Englisch, Lisas Russisch und Google Translate sei Dank. Zum ersten Mal probieren wir zudem russischen Buchweizen – Gretschka.
Etappe 12 – Das gefundene Paradies
Länge: 14 Kilometer
Start: Freier Zeltplatz vor Kaleüçağız
Ende: Strand vor Andriake
Dauer: ca. 9 Stunden
Heute sind nur 14 Kilometer angesagt. Aber erreichen wir den echt schönen Ort Kaleüçağız, verdaddeln wir unsere Zeit mit der Besteigung eines nahen Berges, auf dem die alte Festung „Simena Castle“ steht und einen Blick auf die „Sunken City“ erlauben soll. Tatsächlich haben wir einen grandiosen Ausblick auf türkisblaue Buchten, grüne Inseln und kleine Bootsstege. Von der Sunken City sieht man aber nicht viel. So wie es aussieht, sind auch eher ein paar kleine Hafenbecken versunken, aber das sollten wohl mal Taucher prüfen. In der Festung gibt es dennoch einiges zu sehen, ein Amphitheater, eine Moschee mit alten Mosaiksteinen und einen grandiosen Rundumblick. Der Aufstieg durch ein Feld von Lykischen Gräbern hat sich jedenfalls gelohnt.
In Kaleüçağız treffen wir zuvor auf gepflegte und geschmückte Häuser, auf unsere ukrainische Wandergruppe und Jenny, die uns Sandwiches besorgt und wir revanchieren uns mit frischem Wasser. Darüber hinaus begleitet uns fortan „Oy“, unser privater, treuer Wachhund, der unsere Gruppe erweitert und andere Hunde verjagt. Fertig ist unser Ka-Tet und ich fühle mich fast wie Roland aus „Der dunkle Turm“. Außerdem scheint der Ort noch eine weitere Besonderheit zu haben, Hassan mit seinem Fischrestaurant. Geschmückt ist dieses mit allerhand ausgedruckten Artikeln aus deutschen Zeitschriften, welche ihm die beste Fischsuppe der Türkei bescheinigen. Wir können das leider nicht prüfen, aber laut Erzählungen von Nata scheint sich Hassan seiner „Berühmtheit“ durchaus bewusst zu sein. Über die Fischsuppe können wir aber immer noch nichts sagen, denn auch bei Nata gab es Dorade.
Auf geht es weiter über roterdige Ebenen, vorbei an unserer zweiten Hirtenhundebegegnung (laut, aber auf Abstand) und hinab zu einem Badespot, an dem wohl mal ein Hotel geplant war. Hier liegen auch ein paar Katamarane und Segelboote (auch aus Deutschland). Der Name eines Katamarans ist „Bella Ciao“, wodurch wohl auch der DJ an Bord inspiriert wurde, des öfteren das Partisanenlied mit gleichnamigen Titel zu spielen. Für uns ist das ok, denn wir ziehen uns schnell um und springen, köpfen und arschbomben um die Wette in das kristallklare Wasser. Wir treffen auch Jenny wieder und teilen die Sandwiches auf, bevor wir nacheinander auf die zweite Hälfte des Wegs starten.
Leider haben wir nicht mit der teilweise stehenden Hitze und der unerbittlichen Sonne gerechnet. Irgendwie merken wir, dass die Auf- und Abstiege über teils schweres Gelände an unseren Nerven zehren. Statt der geplanten zwei Stunden vergehen mehr als drei bis wir unser Ziel erreichen sollen. Lisa muss zwischendurch an einem weißen Steinstrand im Schatten liegen und refreshen, bevor wir die letzten Kilometer in Angriff nehmen können. Wir beide verfluchen die Äste, die Steine auf dem Weg und das Stachelgebüsch sowie die Sonne. Irgendwann frage ich zornig, warum wir denn diesen Scheiß eigentlich machen. Lisa hat den Plan mit offenem Mund in das Meer zu rennen und es ganz auszutrinken, denn auch unsere Wasservorräte gehen zur Neige. Irgendwann erreichen wir endlich an das Ende des lichten Waldes und damit an einen Holzsteg, überqueren ein Flüsschen, was geradewegs in das Mittelmeer mündet und die Brücke in eine neue, bessere, himmlische Welt bildet. Gezeichnet ist diese verheißungsvolle Welt, dieser kleine Landstrich am Ende des beschwerlichen Weges durch einen grünlich, mineralisierten Süßwasserfluss, der sich entlang der begrenzenden Berge schlängelt und schließlich in die Brandung eines langen und natürlichen Sandstrandes mündet. Direkt dahinter erheben sich sanfte Dünen, bewachsen mit Palmen und Pinien, die in der Nachmittagssonne Schatten spenden und einen nadeligen Duft versprühen. Alles ist nur von einer durch das Meeresrauschen harmonisch unterbrochenen Stille umhüllt.
Wir werden auf der anderen Seite des Stegs von einem alten, grauhaarigen, aber gechillten Herren begrüßt. Er lädt uns ein, bei ihm zu rasten, schneidet Früchte auf und füllt unsere leeren Becher mit Wasser. Dieser freundliche Mann ist der Fisherman Salih und das seine grobe Story:
Vor zwölf Jahren hat er seinen Job und alles, was er hatte, aufgegeben und sich an diesem Ort niedergelassen. Damals gab es hier noch nichts, außer die beschriebene Landschaft. Er hinterfragte sich und landete schließlich bei dem Punkt, warum man denn immer nur arbeitet, obwohl man wenig braucht und auch mit dem, was man hat, glücklich sein kann. So baute er sich anschließend, vor allem aus den Materialien, die er hier am Strand fand, eine kleine Hütte und wird seither dort geduldet. Denn, das Land gehört ihm nicht. Er hält den Stand sauber und dafür darf er inoffiziell dort leben. Oft kommen Gäste, Bekannte, Freunde oder einfach Wanderer und besuchen den Fisherman. Er gibt gern, was er hat, denn er folgt der Überzeugung, dass meist mehr Gutes wieder zu ihm zurückkehrt. Nur mit den gepflanzten Bäumen will es nicht so recht klappen, weil die im Boden mit Salzwasser vom Mittelmeer doch nicht so gut gedeihen.
Hier möchte ich auf ein Gespräch am nächsten Tag vorausgreifen. Ich stehe mit dem Fisherman auf der Brücke. Er bereitet gerade ein Essen für Freunde und Gäste zu und fragt mich, ob wir denn auch zum Essen kommen wollen und ob wir denn noch einen Tag länger bleiben wollen. Ich glaube er hat nichts gegen Gäste, die dort verweilen. Was will er auch tun, denn das Land gehört ihm nicht. Als ich entgegne, dass wir sein Paradies echt genießen, sagt er, dass er das verstehen kann und die meisten Leute wiederkommen. In der letzten Zeit sei das aber wohl etwas viel und er hätte schon Sorgen darum, wenn die Polizei, insbesondere in der Corona-Zeit und während des Lock-Downs kommen würde, dass das ja nicht gut für ihn wäre. Krass, da ist der Fisherman so frei und gechillt und doch holen ihn die Sorgen aus dem Alltag wieder ein, denn wenn die Polizei käme, was würde dann wohl aus seiner Freiheit, seinem Leben und all dem, was er lieb gewonnen hat werden? Ein zweischneidiges Schwert.
Unterdessen geht Sören hinter die Hütte des Fisherman zu den dort aufgebauten kleinen Zelten, um nach Jenny zu suchen, denn die müsste ja schon da sein, da sie vor uns losgelaufen ist und wir sie nicht überholt haben. Schließlich möchte ich ihr sagen, dass wir auf den Campingplatz wollen, um in den Genuss einer warmen Dusche und Frischwasser zu kommen. Tja, statt Jenny finde ich ein paar türkische Aussteiger-Hippies, die mich fragen: „Do you smoke weed?“. Ich verneine und bekomme die Antwort: „But I smoke weed.“ Mit einem verschrobenen Grinsen schaut er mich an und ich erzähle, dass ich Jenny suche. Die hat er aber nicht gesehen.
Danach treffe ich Lisa beim Fisherman wieder und wir verabschieden uns, um den letzten Fußmarsch bis zum kleinen Hafen von Andriake in Angriff zu nehmen. Er sagt, er geht davon aus, dass wir zurückkommen werden und willkommen sind.
Kaum im Ort angekommen und den Gott sei dank noch offenen Tekel gefunden, erfrischen wir uns bei Bier, Ayran und Kizilay (unfassbar erfrischendes Prickelwasser), um schnell zu der Entscheidung zu kommen, mit den neuen Vorräten zurück ins Paradies zu gehen – eben so, wie es der Fisherman prophezeit hat. Entlang der Abendsonne stapfen wir wieder durch den Sand des Strandes zurück, um von allen im Paradies Verbliebenen willkommen geheißen zu werden. Fast fühlen wir uns, wie in einer Hippi-Oase – ein Bild, das sich später noch verfestigen wird.
So bauen wir unser Zelt auf, schließen erste Kontakte mit Valeria, Samet, Ibrahim, Rahman und Eşe. Wir lassen uns nieder, kochen und sehen die ersten großen Meeresschildkröten den Fluß hinausschwimmen, gleich neben der Stelle, an der wir immer in den Fluss springen. Was für ein Anblick.
Auch Jenny ist auf einmal wieder da. Über die Brücke hören wir, wie sie erleichtert „Lisssaaaaa“ ruft. Den Sonnenuntergang hinter sich kommt sie den steinigen Wanderpfad heruntergehumpelt – mit zerrissener Hose und voller Blessuren. Fuck. Sie hat den Pfad verloren, was echt schnell gehen kann und sah auf der Navigation den richtigen Weg knapp über sich. Voller Mut erklomm die erfahrene Altay-Wanderführerin den 20 Meter hohen Hang, um dann zwei Meter desselbigen samt Rucksack herunterzufallen, als ein Stein unter ihr wegbrach. Gott sei dank ist nichts schlimmeres passiert.
Kaum ist es dunkel, werden wir gefragt, ob wir denn auch etwas zu essen wollen (Reis) und ob wir nicht auch Lust haben, am „Kinoabend“ teilzunehmen. Ibrahim und Samet haben da echt ein Bettlaken hängen und einen kleinen Beamer dabei auf dem bald Netflix und „Into the Wild“ läuft, jedenfalls, bis der Akku 15 Minuten später seinen Geist aufgibt. Wir spendieren Tütün und bald ist auch der Fisherman dabei und Kaptan Osman von der „Poseidon 7“, der hervorragend deutsch spricht. Wir trinken Bier, was Samet uns per Kurier geordert hat, und tanzen nach dem Beamer-Ausfall spontan zu Reaggaeton um das ebenfalls kurzerhand entfachte Feuer. Fast scheint es normal, ein Normal ohne Corona. Was für ein wunderschöner Abend, mit wunderbaren Menschen.
In der Nacht dürfen wir auch noch ein Highlight entdecken und beobachten. Beim Blick in den Sternenhimmel fällt uns eine symmetrische „Sternenkette“ auf. Das kann nicht natürlich sein. Wir vermuten schon die erste Alien-Invasion oder sonst etwas. Es ist wunderschön anzusehen und Elon Musk hat uns den Moment mit den 60, in einer Kette aufgereihten Starlink-Satelliten geschenkt. Danke.
Am Morgen werden wir von der Sonne geweckt und gehen uns erstmal im Fluß frischmachen. Mein Highlight ist zu dem Zeitpunkt das von Valeria ausgeborgte Shampoo, mit dem ich endlich meine zotteligen, fettigen und dreckigen Haare in eine seidig glänzende, duftende und locker fallende Haarpracht verwandeln kann. Kurz darauf schwimmt diesmal eine Robbe vorüber. Wow. Wir haben am Tag zuvor schon festgelegt, dass wir noch einen weiteren Tag im Paradies verbringen. Ganz so, wie es der Fisherman prophezeit hatte. Wir erinnern uns auch an die Einladung zum Frühstück bei Kaptan Osman, ganz im Gegensatz zu ihm selbst, wie wir bald vermuten, als wir vor seinem Boot stehen. Er freut sich dennoch, uns zu sehen und bittet uns gleich auf sein stolzes Schiff. Wir trinken Tee und er fragt uns, ob wir denn schon gefrühstückt hätten (die Einladung hatte er über der Flasche Wein am Vorabend wohl vergessen). Wir schauen uns an und antworten verlegen: „Nein“. „Gut, dann machen wir jetzt Fisch und trinken einen Raki“, wird uns entgegnet. Auf den Raki verzichten wir dann doch um 10 Uhr morgens, bekommen aber wenig später einen leckeren Salat, Ekmek und einen Fisch der besonderen Art aufgetischt. Ein gebratener Lionfisch (Feuerfisch), den wir noch nie gegessen haben, der aber vorzüglich schmeckt (sobald es einmal gelingt, die unzähligen Gräten vom Fleisch zu trennen).
Rotfeuerfisch? Richtig, das ist der weiß-rot gestreifte Fisch mit den großen Stacheln, den wir beim Tauchgang an dem Flugzeugwrack in Kaş gesehen hatten und der hier als invasive Art gilt. Osman weiß anscheinend, wie man diesen fängt (mit der Harpune zum Beispiel) und zubereitet, ohne von den Stacheln, die der Fisch verschießen kann, getroffen zu werden. Alsbald gesellt sich auch ein Fischerkollge zu Osman aufs Boot und schnell erwächst bei Kaptan Osman der Gedanke, dass man doch auch am Abend zusammen frischen Fangfisch essen könne. Wir sollen einfach zwischen 7 und 9 mit Valeria, Jenny, Eşe und Rahman an der Poseidon 7 sein, Getränke mitbringen und sein Fischerfreund würde das Essen besorgen. Osman hätte ja eh nichts anderes zu tun. Es ist Lockdown und touristische Ausflüge mit dem Boot sind verboten. Sonst könnten wir zusammen die Küsten abfahren und auch zur Sunken City düsen. Wer Lust darauf hat, kann Kaptan Osman hier finden und buchen.
Nach dem Frühstück, oder besser Brunch gehen wir wieder in unser Paradies zurück, gehen baden, lassen die Seele baumeln, quatschen mit dem Fisherman und der Kommune, werden beim Fisherman zum Aal essen eingeladen und hübschen uns für unser Rendezvous am Abend auf – so gut es geht. Pünktlich stehen wir wieder vor der Poseidon 7 und werden an Bord gelassen. Es wird gelacht, getrunken und die Vorbereitungen für das große Mahl getroffen. Trotz Auslaufverbot lässt Osman wenig später behände den Motor an und parkt die Poseidon 7 im Hafen noch schnell um, um den Überwachungskameras zu entgehen. Mit meinen Knoten ist er nicht so recht zufrieden, was aber auch an seinem Pegel liegen könnte. Wir merken, dass Osman zunehmend nervös wird. Scheinbar hat das mit dem Fangfisch nicht geklappt, sodass er kurzerhand beschließt, dass es wieder Lionfisch gibt. Lisa und ich freuen uns schon und es schmeckt tatsächlich wieder vorzüglich. Auch an diesem Abend wird in allerhand Sprachen gesprochen, die Gastfreundschaft von Osman gelobt und gelacht. Auf dem Heimweg sehen wir diesmal zwar kein Starlink Projekt, dafür die Milchstraße, Sternschnuppen und viele Sterne, die uns sanft den Weg in unser Refugium zeigen.
Etappe 13 – Weihnachtsmann, alte Freunde und neue Wegbegleiter
Länge: 5 Kilometer (Andriake – Demre), 60 km Bus (Demre – Karaöz), 8 Kilometer (Karaöz – Gelidonia Leuchtturm)
Start: Strand vor Andriake
Ende: Gelidonia Leuchtturm
Dauer: ca. 6,5 Stunden
Der Abschied an diesem Morgen fällt schwer. Man könnte sicherlich auch noch einige Zeit mehr hier verbringen (gemäß dem Motto des Fishermans „Why not?“). Dass wir noch bleiben, wünschen sich die leider zurückbleibenden Bewohner unseres Paradies-Hippi-Camps auch. Es gibt noch Abschiedsfotos, eine gedrehte Abschieds-Rette und viele gute Wünsche für den weiteren Weg, bevor Valeria, Jenny und die Explorer den harten Weg aus dem Paradies antreten. Wir verabschieden uns vom Salih, dem Fisherman, und wünschen ihm alles Gute, vor allem, dass er noch so lange er möchte sein eigenes Paradies bewahren und genießen kann. Der Gedankengang mit der zunehmenden Popularität und der Gefahr, dass sein Lebenstraum gefährdet ist, begleitet uns noch ein gutes Stück. Es war richtig, den Moment voll zu genießen, aber jetzt ist es Zeit, den Staffelstab weiterzugeben. So unsere Bitte: Fragt den Fisherman, ob es für ihn ok ist, dort zu verteilen, verhaltet euch respektvoll und reflektiert, was es bedeutet an diesem wunderschönen Ort zu verweilen.
Wir laufen über den Andriake Beach nach Andriake und weiter bis nach Demre. Demre ist der türkische Name der einstigen Lykischen Siedlung Myra, die als Geburtsstätte des St. Nikoloaus gilt. In Demre steht die Kirche des Heiligen Nikolaus, der hier „Baba Noel“ genannt wird und auch im Stadtwappen von Demre abgebildet ist. Leider findet man die Bezeichnung „Baba Noel“ nicht mehr auf öffentlichen Ortsbeschilderungen, denn die wurden erst kürzlich mit Myra übermalt. Ein Schelm, wer im Zuge der schleichenden Entsäkularisierung Böses dabei denkt. (Baba Noel=christlich)
Die fünf Kilometer sind auf der Straße schnell zurückgelegt und wir halten Einzug in den Stadtkern und suchen den Otogar, den Busbahnhof, auf, um einen Bus über Finike nach Kumluca zu erhaschen sowie dort anschließend nach Karaöz umzusteigen. Die Etappe durch Patara hat uns gelehrt, dass man nicht unbedingt durch stark industrialisierte Täler, hier ebenfalls mit Tomatengewächshäusern bebaut, wandern muss. Da kann man sich lieber auf die schönen Touren konzentrieren. Wir finden den Bus, der 12:15 Uhr (jede Stunde ein Mal) losfährt und haben noch 45 Minuten Zeit. An der Busstation kommt uns Jenny entgegen und stellt uns Stephan vor: „Schaut mal, ich habe jemanden aus Deutschland gefunden, aus Hamburg.“ Wir unterhalten und kurz, wollen aber noch etwas einkaufen und machen uns los, nur um Stephan keine 15 Minuten später in einem Restaurant zu treffen und zum ersten Mal aus einem Ayran-Brunnen zu trinken. Während der Rast quatschen wir über allerhand Dinge und verstehen uns gleich ganz gut. So verbringen wir auch die Busetappe zusammen bis nach Kumluca, finden dort keinen Anschlussbus, weil es keinen Direktbus gibt und teilen uns für 120 TRY ein Taxi, welches uns bis zum Strand von Karaöz fährt. Ratz Fatz sind so 60 Kilometer durch Maschinenkraft überbrückt. Aber nicht, ohne auf ein großes Spektakel aufmerksam zu werden. Ein Kulturgut, welches wir noch nicht kannten. Im Mittelpunkt stehen Männer in engen Bluejeans, Kraft und nacktes Fleisch. Uns blicken von einem großem Plakat eben solche gestählten (und merkwürdig glänzenden) Männer entgegen. Verwundert schauen wir uns an und übersetzen den Text auf dem Werbeplakat – Männerölwrestling (bestimmt im besten Olivenöl, oder wird das so gepresst?). Besser hätte es die WWF auch nicht machen können. Schade, wir verpassen das Event leider um ein paar Tage, aber beim nächsten Türkeiurlaub werden wir uns daran erinnern.
Hier trennen sich unsere Wege und die Explorer wandern wieder allein den Waldweg zum Gelidonia Lighthouse entlang, unserem erklärtem Etappenziel für diesen Tag. Am Korsan Koyu treffen wir Stephan wieder und legen an diesem wunderbaren Strand mit Frischwasserquelle einen Badestopp ein. Yeah, nochmal schnell erfrischen, bevor es auf zum letzten Aufstieg für diesen Tag geht. Wir springen in die Fluten, und schwimmen in der wunderschönen Bucht herum, die auch von Einheimischen geschätzt wird. Überhalb der Bucht gibt es verschiedene Campingplätze, an denen wir nach dem Badegang schnell vorbeimarschieren.
Kaum eine Stunde später erreichen wir den Zielweg zum Leuchtturm, als Lisa mich darauf aufmerksam macht, dass wir den Rucksack der Frau vor uns doch kennen. Es ist Nata, die wir schon verloren glaubten. Irgendwas ist mit ihrem Fuß, aber die Freude ist gleich doppelt so groß. Wir besteigen den Berg und suchen uns die besten Zeltplazierungsmöglichkeiten aus, bis wir von weiter oben ebenfalls den freudigen Ruf von Valeria hören, die sich den Masterspot, hoch über unseren Köpfen mit einem wunderschönen Ausblick gesichert hat und uns zum Abendessen an ihr Zelt einlädt.
Diese Einladung nehmen wir auch gern an und gehen gleich in die Arbeitsteilung über. Die Jungs holen Feuerholz und machen das Feuer an, Lisa macht Menemen (türkisches Rühreier mit Tomaten und Paprika). Es gibt auch eine Vorsuppe aus Kichererbsen (Tüte) und Käse, Gurken sowie zwei Tüten Haribo Cola, welche Valeria von ihrer Mitfahrgelegenheit geschenkt bekommen hatte. Der ist nämlich Hariboausfahrer. WGIDD.
So quatschen wir, erfahren gleich noch mehr von Valeria und Nata (Anwältin, Ayuawaska Session, IndienTempel, London Ausbildung als Choreographin, Yoga-Lehrerin, Wanderung in der Türkei und Selbstfindung) sowie Stefan und küren Nata am späten Abend zur Heiligen. Fast sind wir daran, eine Religion zu gründen, um Nata als unsere spirituelle Führerin zu etablieren. Stephan erzählt von einem Besuch einer solchen Vereinigung im tiefsten Sibirien und unser Plan nimmt Form an. Warum? Nata ist eine Heilige! Sie erzählt uns im Feuerschein ihre Geschichte von der Krim, als sie beim Rucksackaufsetzen von einer Schwarzen Witwe gebissen wurde und wie ein gefällter Baum einfach umgebrochen ist. Die Beine und Arme, alles taub, sie allein unterwegs, wurde und wie durch ein Wunder am Strand von jemandem gefunden und schnell ins Krankenhaus gebracht. Damit nicht genug. In diesem Sommer sind wohl 14 Menschen an den Folgen eines solchen Spinnenbisses gestorben, weil kein Gegengift da war. Nata ist die einzige Überlebende. Wenn das nicht zu einem kleinen Heiligenschein reicht?
Wir bilden anschließend noch einen Feuergott aus und beschwören ihn, schauen in die Sterne, bevor wir uns, den Starlink vermissend, in unsere Schlafsäcke werfen und schönen Träumen nachgehen.



Noch mehr über den Lykischen Weg erfahren?
Das Ziel rückt in greifbare Nähe: Antalya! Mehr zu lesen gibt es im vierten Teil der Erkundung des Lykischen Wegs durch die Explorer.