
Albanien? Ist das den sicher? – Ja, und super! (Teil 1)
05. September 2021 | Leipzig, Deutschland | Sören
Bevor wir nach Albanien aufgebrochen sind, bekamen wir oft die Frage gestellt, ob Albanien denn sicher sei. Klar, was soll denn an Albanien nicht sicher sein? Der Kanun, das mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht, das unter anderem auch auf Blutrache verweist, ist offiziell abgeschafft und wir haben nicht vor, etwas zu tun, das Albaner dazu bewegen könnte, sich auf den Kanun zurückzubesinnen. Die albanischen Klans sind ja nicht in Albanien, denn es gibt woanders mehr zu holen und Albanien ist bestrebt der EU beizutreten, was leider im Jahr 2021 noch nicht geklappt hat.
Wenn man sich dann noch mit der Geschichte Albaniens, angefangen mit dessen Rolle als Pufferzone zwischen dem Osmanischen Reich und dem der christlichen Welt sowie der neueren Geschichte ab 1912 auseinandersetzt, also der Gründung Albaniens und der Anekdote, wie sich ein Präsident zum König krönen ließ, ist das mindestens ebenso interessant wie die Städte und Naturwunder (Peaks of the Balkans), die das Land zu bieten hat. Hinzu kommen eine herzliche Gastfreundschaft und große Offenheit. Das alles dürfen wir genießen und zählen Albanien zu einer der schönsten Reiseepisoden auf unserem sechsmonatigen Trip.
Während Lisa in ihren Beiträgen von den knapp 200 Kilometern berichtet, die wir in elf Tagen auf dem Peaks of the Balkans Fernwanderweg zurücklegten, erzähle ich hier von den besuchten Städten.

Tiranë – Die Überraschung
Nach fast 16 Stunden Anreise aus Bischkek erreichen wir endlich die Hauptstadt Albaniens und sind erst etwas verblüfft ob der neuen Hochhäuser, die überall aus dem Boden zu wachsen scheinen. Schnell wandelt sich das Bild aber und nach unserer ersten Stadttour auf eigene Faust sind wir regelrecht begeistert. Uns präsentiert sich eine Stadt, in der das Leben und die Jugend nur so brodeln. Tirana ist, basierend auf einer Initiative des damaligen Bürgermeisters, auch nicht mehr voll von grauen, sozialistischen Bauten, wie man das nach dem Zerfall des sozialistischen Regimes erwarten könnte, sondern bunt und lebhaft, mit Graffitis und Wandgemälden geschmückt.
Irgendwie fügen sich selbst die neu errichteten Bauten in den Bestand aus der sozialistischen Zeit sowie den Gebäuden, welche noch aus den Zeiten des italienischen Einflusses stammen. Was uns weiterhin absolut begeistert und sofort auffällt, ist die friedliche Koexistenz der einzelnen Religionen, wobei sich keine an der anderen zu stören scheint. Da steht in der Mitte der Stadt eine neue und wunderschöne orthodoxe Kirche, die katholische Kirche befindet sich kaum einen Steinwurf von der neu, natürlich mit türkischer Unterstützung gebauten, riesigen Moschee. Dass die einzelnen Religionen hier in Freiheit und scheinbar in Harmonie leben und ausgeübt werden können, bestätigt uns auch später unser Stadtführer Eri. Jedes der drei genannten Gotteshäuser ist sicherlich einen Besuch wert, auch wenn wir uns nur die orthodoxe Kirche angeschaut haben.
Tirana ist keine allzu zu große Hautstadt und genau das scheint ihr zugute zu kommen. Alles im Zentrum ist fußläufig zu erreichen und auch wenn die Temperaturen im Sommer über 40 °C erreichen, gibt es genügend überwachsene und grüne Straßen, gesäumt mit Cafés und Bars, um überall hin zu kommen. Ohnehin scheint es so zu sein, dass wenn man irgendwo Albaner haben möchte, man einfach eine fancy Bar aufmacht – und davon gibt es mannigfaltige.
Im Herzen der Stadt befindet sich der Skanderbeg Platz, benannt nach dem Nationalhelden, der zuerst für die Osmanen in einer Eliteeinheit kämpfte und anschließend für das Christentum und die Freiheit der Albaner. Der Platz ist gesäumt von Gebäuden „aller Epochen“ – italienischer Einfluss, Glockenturm und Moschee aus dem 18. Jahrhundert und sozialistische Gebäude, wie etwa die Oper oder das Nationalmuseum. Neuerdings säumen auch die schon benannten Business Center die angrenzenden Straßen und prägen so das Gesamtbild. Der Clou befindet sich aber in der Mitte des Skanderbeg-Platzes. Dieser ist nämlich mit einzelnen Steinplatten ausgelegt, wobei jede der Steinplatten aus einer anderen Region Albaniens stammt und so die Einheit der Albaner auf dem Platz symbolisieren. Außerdem, dass der Platz eben für jeden Albaner da ist. Verwundert schauen wir uns einzelne Schlitze zwischen den Steinen an und bekommen bei der Stadtführung, „Free Walking Tours“, die Auflösung: Der Platz ist von der Mitte aus abfallend und leicht gewölbt gebaut, weil selbst die deutlich hitzebeständigeren Albaner (als Deutsche zerfließen wir ohnehin schon) in den heißen Sommermonaten es kaum auf diesem Platz aushalten. Gleichen die Temperaturen also wieder einmal denen in der finnischen Sauna, wird Wasser aus den Schlitzen laufen gelassen, was die Platten kühlt und so ein angenehmeres Klima schafft.
Was weiter auffällt, ist die große Zahl an mehr oder weniger gut getarnten Bunkern. Überall gibt es diese, angeblich über 192.000 in ganz Albanien. In Tirana muss man schon genauer hinschauen, um die überall verteilten Bunker zu sehen. Diese sollten damals den Sieg über angreifende sowjetische oder amerikanische Invasoren sicherstellen und sind zumeist im Zweierverbund anzutreffen. Auf dem Skanderbeg Platz kann man über einen solchen (allerdings neu gebauten) Bunkereingang auch die Ausstellung „Bunkart 2“ betreten. An einem heißen Nachmittag ist das eine willkommene Abwechslung und man erfährt sehr gut aufbereitet eine ganze Menge über die sozialistische Diktatur unter Enver Hoxha, die Repressionen, Spionage und wie strange das eigentlich alles war. Nur der Art-Teil kommt mit den knapp fünf Ausstellungsstücken etwas zu kurz.
Wir wenden uns weiter in die einzelnen grün bewachsenen Straßen im Westen der Stadt. Hier finden sich unzählige Cafés, die schon in den frühen Morgenstunden von den Albanern gern genutzt werden. Sich so zu den freundlichen Menschen zu setzen, zu schnacken und einfach die Stimmung zu genießen, das macht schon Spaß. Wir setzen unseren Weg Richtung Süden fort und schlendern durch den Stadtpark. Der ist zwar groß, (an manchen Stellen noch) grün, schattig und mit vielen Statuen bestückt, verspricht aber mehr, als er zu leisten vermag. Der Park liegt an einem künstlich aufgestauten See. Als wir dort waren, war dieser schon veralgt und die Wasserhöhe eher dürftig, für eine kleine Abkühlung müssen wir wohl auf den Skanderbeg-Platz zurück.
Dorthin zurückgekehrt, folgen wir der südlichen Hauptverkehrsachse und kommen noch am Sitz des Präsidenten, dem Parlament und der „Pyramide von Tirana“ vorbei. In diesem Sommer befindet sich Letztere leider noch im Umbau, wird aber sicherlich ein Highlight. Wir sind eh davon überrascht, wie viel die Stadt aus sich macht und dass so viele Investitionsprojekte entstehen. Tirana hat und nutzt sein Potenzial.
Dafür befindet sich hinter einer japanischen Kunstistallation und dem nationalen Kunstmuseum mitten in der Stadt eine kleine Überraschung. Auf einem unscheinbaren Platz stehen hier die ausgemusterten „Helden“ der Vergangenheit. Neben Statuen der sozialistischen Arbeiter, Bauern und den Partisanenkämpfern kann man auch Hoxa, Stalin und Lenin in verschiedenen Ausführungen sehen. Weitergehend in Richtung Osten schlendern wir durch eine Fußgängerzone, die von lustigen Bänken flankiert wird. Diese sind in Notenform und könnten eine Melodie darstellen. Tun sie leider nur nicht, da allein der Notenschlüssel schon in die falsche Richtung zeigt. Eine schöne Idee, but fail. Dafür gehen wir anschließend in das künstlich nachgebaute Festungsgelände. Hier stand auch mal eine Festung, die wurde aber schon vor langer Zeit zerstört und danach einfach wieder aufgebaut, um Restaurants, Bars und kleine Läden eine Heimat zu geben. Was ist schon eine Hauptstadt, die keine Festung hat? Es ist echt schön hier und ein Besuch lohnt sich, wenn auch die Preise (natürlich) etwas über denen in anderen Geschäften und Bars liegen.
Wir fühlen uns sofort von Tirana angezogen und entdecken noch viele weitere Winkel und schöne Bars, auch außerhalb des innersten Rings. Den zweiten muss man allerdings nicht überqueren, dort verliert sich viel vom Flair der Stadt.
Berat – Stadt der 1.000 Fenster
Sicherlich eine Perle an städtischer Architektur, wenn man von den neuen, sozialistischen Stadtteilen absieht. Aber wer nach Berat reist, wird sicherlich in der Altstadt eine Bleibe suchen. Berat liegt idyllisch an den Ufern des Limi i Osumit, der sich mäandernd zwischen den Bergen und Olivenhainhügeln hindurchbewegt. Dabei wurde Berat schon früher unter Bestandsschutz gestellt und gehört neuerdings auch zum UNESCO Weltkulturerbe. Wir fahren mit dem Bus von Tirana ein, was etwa zweieinhalb Stunden dauert, und sind beim etwa 40-minütigen Fußmarsch vom Busbahnhof ins Zentrum zunächst enttäuscht (Plattenbauten), werden aber mit Erreichen der Altstadt schnell vom Flair eingenommen und an den Brücken, die die alten Stadtteile verbinden wirklich von über 1.000 Fenstern angeschaut. Was für ein Anblick, links über uns thront eine in den Fels gehauene Kirche und gleich darüber die alte Festungsanlage.
In Berat schlendern wir durch die alten Straßen und unser erstes Ziel ist die Festung Berat. Davor schlendern wir durch alte, kleine Straßen, die sich langsam aber stetig die Berge hinaufwinden. Dabei ist das Besondere, dass viele der alten Gebäude innerhalb der Festungsanlage errichtet wurden. Eine Stadt in der Festung also. Hier finden sich neben Kirchen noch drei alte Moscheen (oder das, was der Zahn der Zeit davon übrig gelassen hat), ein besonderer Aussichtspunkt, von welchem wir die ganze fantastische Szenerie links und rechts des Flusses betrachten können, eine ehemalige Kirche, die zu sozialistischen Zeiten eine Ferienunterkunft war und jetzt leer steht, sowie die sich endlos fortschlängelnden Mauern, die wir erklimmen.
Mein persönliches Highlight am ersten und auch am zweiten Abend ist es, die Festung zu erkunden, dort auf den Mauern den Sonnenuntergang bei einem kühlen Bierchen zu genießen und mich von der unendlichen Weite des Ausblicks berauschen zu lassen. Dabei kann ich erahnen, wie es wohl früher hier war und warum sich die Erbauer der Festung gerade für diesen Platz entschieden haben. Den Ausblick zur Altstadt dominiert ein Gebäude, das auch in den USA stehen könnte und stark an das „Weiße Haus“ erinnert. Früher war dies mal ein Universitätsgebäude, heute ist es ein Hotel.
Unten in Berat wird es gerade abendlich und wie üblich, wenn die Sonne gerade untergeht und die Temperaturen ansatzweise erträglich werden, beginnt die „albanische Stunde“. Eben die Zeit, zu der sich alle in Schale werfen und in den schönsten Kleidern über die Straßen und Plätze flanieren, die Restaurants und Bars besetzen und dem Tag einen tollen Ausklang geben. Dabei lohnt es sich nicht nur, die gastronomischen Betriebe an den Hauptstraßen zu besuchen. Wir schlendern eben genau davon weg und besuchen eine kleine Bar. Dort wird gerade privat gegrillt und wir werden direkt dazu eingeladen, all die Köstlichkeiten zu probieren. Dabei sind wir von den gegrillten Zucchini angetan. Auch wenn wir uns kaum verstehen, ist hier eine einfache und gelöste Stimmung, in der wir uns willkommen und heimisch fühlen.
Shkodër – Das Sprungbrett in die albanischen Alpen
Im Norden Albaniens, knapp zwei Busstunden von Tirana entfernt, am Shkoder Lake gelegen, befindet sich gleichnamige Stadt. Shkoder ist dabei ganz anders als alles, was wir bisher in Albanien gesehen haben und auch noch sehen werden. Hier sind keine sehr alten und keine sehr großen Gebäude. Alles wirkt wie eine unauffällige Kleinstadt, was sie auch ist. Touristen findet man hier fast nur auf der Durchreise ins Berg- und Wandermekka Theth.
Wir bleiben drei Tage, um dennoch die Stadt zu erkunden und werden auch fündig. Schließlich hat Shkoder auch eine Festung (Rozafa) zu bieten. Hier müssen wir zwar je 4 € Eintritt zahlen, aber spätestens der Ausblick über die Ebene entschädigt. Wer den geheimen Zugang findet, kommt vielleicht auch kostenlos rein. Wir fanden aber nur den geheimen Ausgang von der inneren Festung aus. Viel mehr außer einem Gebäude, welches jetzt als Museum und Restaurant dient, ist allerdings nicht erhalten. Dafür sitzen wir bei Sonnenuntergang auf den Zinnen und hören von weit unten elektronische Tanzmusik. Das entspannt und macht neugierig. Zu unseren Füßen sehen wir einen Pool, um welchen ein paar Wohnmobile stehen und die Tanzwütigen die Beine in die Luft werfen. Wie wir später herausgefunden haben, befindet sich genau an jenem Ort das „Camping Legjenda“ – Nice. Da es für uns später noch in die Berge und damit zurück zu Zelt und Isomatte geht, bleiben wir dennoch in unserem bequemen Hostel.
An unserem zweiten Tag beschließen, wir die Stadt zu erkunden. Es gibt eine niedliche, restaurierte Haupteinkaufsstraße, die auch wieder mit Bars und dergleichen gesäumt ist, wir bewegen uns aber etwas abseits der ausgetretenen Pfade und finden eine tolle Roof-Top-Bar – den Sherlock Pub. Hier lässt es sich ebenso aushalten wie in den ganzen kleinen Kneipen im Norden von Shkoder.
Im Zentrum haben wir auch gleich eine besondere Begegnung. Wir kaufen frisches Obst ein, als wir von dem vor uns bezahlendem Mann, dessen Namen wir leider vergessen haben, auf Deutsch angesprochen werden. Er kommt aus Aachen und ist zum Zickleinessen in die Berge eingeladen worden. Wir erzählen, dass wir schon seit fünf Monaten durch die Welt reisen, werden von ihm auf unseren Obsteinkauf eingeladen und bekommen mit den Worten „Na, dann braucht ihr das“, 20 € in die Hand gedrückt. Das wollen wir zwar nicht annehmen, kommen aber nicht drum herum – albanische Gastfreundschaft kennt offenbar genauso wenig Grenzen wie die kirgisische. Danke!!! So ist unser Abend (jetzt doppelt) gesichert.
An warmen Tagen kann man sich im naheliegenden See erfrischen, den sich Albanien mit Montenegro teilt. Wer also weit schwimmen möchte, kann durchaus mal einen Grenzübertritt in dieses Land wagen.
Eine Fahrt nach Shkoder von Tirana aus kostet knapp 300 Lari und nach Theth 10 €. Hier noch ein kleiner Tipp für alle Wanderer der Peaks oft he Balkans: Wer Gaskartuschen mit Schraubverschluss sucht, die im Allgemeinen nicht in Albanien erhältlich sind, kann in Shkoder hier finden (Paisje Gazi Riparime).