
40 Grad Celsius – Der Weg von Sary Chelek nach Osh
25. Juli 2021 | Gjirokaster, Albanien | Sören
Nach den Erlebnissen in Sary Chelek wenden wir uns nach Süden. Unser Plan ist es, Osh an einen Tag zu erreichen, dort zu bleiben und die Stadt zu erkunden. Dabei haben wir schon eingerechnet, dass wir nicht durch Usbekistan reisen können (die Landesgrenzen sind wegen Covid 19 geschlossen). Wir haben große Erwartungen an eine Stadt an der Seidenstraße, DIE exotische Handelsroute, die die Kulturen des Ostens mit denen des Westens verband.
Insgesamt sind es 315 Kilometer. „Das ist doch an einem Tag machbar“, denke ich mir. Unterwegs werden wir an Arslanbob vorbeifahren, einem Nationalpark, der die größten Walnussbaumwälder der Welt beherbergt, sowie Dschalalabad hinter uns lassen, aber nicht, ohne einen Abstecher in die drittgrößte Stadt Kirgistans gemacht zu haben.

Start um 0900 (Null Neunhundert)
Auf geht es mit unserem 4×4, „Miss Brooks“, durch die noch angenehm kühlen Straßen von Arkit. In den letzten Tagen hat sich nicht viel geändert. Die Marschrutkas voller besichtigungswütiger Kirgisen fahren bereits früh an uns vorbei, um nach Sary Chelek zu gelangen. Wenn ich mir vorstelle, wo diese Busse losgefahren sind, bekomme ich ein Bild davon, wann sie gestartet sein müssen – ziemlich früh. An den Straßenrändern spielen die Kinder in den „Ariks“, den wasserführenden Gräben entlang der Dorfstraßen, wie schon Tage zuvor und alles sieht friedlich, nicht gestresst aus.
Auf der Fahrt nach Aktuidu, denn hier müssen wir tanken und auf die Hauptstraße nach Taschkumür (ташкумыр)einbiegen, sprechen Lisa und ich über den gestrigen Tag. Wir haben bisher soviel Gastfreundschaft erfahren, wurden eingeladen und haben uns bei den Kirgisen so wohlgefühlt, dass wir zu dem Entschluss kommen, etwas zurückgeben zu wollen. Etwas, das wir haben und von Kirgisen gebraucht werden kann, ist unsere Mobilität mit Miss Brooks. Da wir aber auch schon etwas komische Erfahrungen beim Mitnehmen von kirgisischen Hochzeitsgästen ein paar Tage zuvor gemacht haben, entschließen wir uns zu einer etwas klareren Kommunikation. „Куда?“ – Wohin, wird ab jetzt unsere erste Frage sein. Wir beschließen unsere vorzügliche Fahrleistungen mit Explorer Airlines eher für kurze Trips anzubieten, also bis in die nächste, größere Stadt, auch wenn unsere Gäste weiter wollen.
Eine gute Tat am Tag
Kaum beschlossen, steht ein junger Mann in einer Kurve und hält in gewohnter Manier seinen Arm heraus. Lisa und ich schauen uns an und sind uns einig, dass wir ihn bis nach Taschkumür mitnehmen können. Wir halten und fragen wohin er möchte. „Taschkumür“, sagt er, perfekt und Lisa macht den Sitz hinter dem Beifahrer für ihn frei (der aufgrund unserer Schlafmodifikation von Miss Brooks nie angeschraubt ist🙄). Er schaut kurz und sagt nur, dass er mehr Platz brauche und beginnt die gesamte Rückbank leer zu räumen und alles in den Kofferraum zu packen. In der nächsten Sekunde sind allerhand Hände damit beschäftigt, weitere Sachen in unsere Miss Brooks zu räumen – Koffer, Taschen, ein Kinderfahrrad, zwei Säcke Bohnen und einen Sack mit Kumus. Lisa kann gerade noch verhindern, dass er die vergorene Stutenmilch auf den ganzen Taschen und unserer Schlafdecke vom Osh Basar im Kofferraum verstaut. Richtig gehandelt, denn wie wir später anhand der weißen Flüssigkeit auf unserem Fußmatten sehen, ist der Sack natürlich nicht völlig dicht. Bei den Nomaden ist ein fermentiertes Milchparfüm sicher kein Thema, aber ich möchte weder damit herumlaufen noch darin schlafen.
Mit der Stapelaktion der Sachen und Güter sind wir fertig, nun beginnt etwas Ähnliches mit Menschen. Hinter uns steigen ein: der junge Mann, seine Frau, seine Mutter, ein Teenie, seine Sohn und ein Kleinkind samt Handgepäck. Acht Leute, das ist Rekord, auch wenn wir in kirgisischen Stadtbussen wie Privatfahrzeugen noch ganz andere Tetriskünste zu sehen bekommen werden.
So geht es mal über asphaltierte Schlaglochstraßen, mal über Staubpisten, entlang von Bergwerken und in die tiefer gelegenen Regionen Richtung Zielort. In Taschkumür verabschieden wir uns von unserer Familie, deren Vater eine Möbelfabrik in Bischkek hat und uns erzählte, dass ein Esel (die vor allem von Kindern gern als Reittiere verwendet werden) hierzulande etwa 1.000 Dollar kostet, ein Pferd 2.000. Das Thermometer steht derweil bei 39 Grad Celsius und wir mutmaßen schon, dass die Digitalanzeige die 40 wohl einfach aus technischen Gründen nicht anzeigen kann, denn inzwischen ist es wüstenheiß und das satte Grün der Berge geht um und in Taschkumür in Ockergelb über, den dominierenden Farbton der Landschaften und sogar der Häuser, die aus einer Art Stroh-Lehm-Backesteinen bestehen. Bei einem dieser Wohnblocks setzen wir unsere Gäste ab und können die Einladung zu Essen und Tee glücklicherweise ausschlagen, um nicht zu spät loszukommen. Außerdem hätte es bestimmt wieder сто грамм Vodka oder Kumus (seien wir ehrlich: vermutlich beides) gegeben. Die Familie ist jedenfalls sehr dankbar und wir freuen uns, etwas von der Gastfreundschaft zurück gegeben zu haben.
Wir folgen dem größten Fluss des Landes, dem Naryn, um den herum die Landschaft immer trockener wird und sich am ehesten mit einer ausgetrockneten Steppe vergleichen lässt. Die goldenen, grazilen Halme der die Landschaft bedeckenden Wiesen werden nur durch die in den Ortschaften wachsenden Bäume und Sträucher unterbrochen.
Wir fahren weiter. Neben uns verläuft der Grenzzaun zu Usbekistan und wir müssten einfach nur das Lenkrad einschlagen und schon wären wir in einem anderen Land. Wäre ja schon cool, einen Abstecher nach Usbekistan zu machen. Wir versuchen unser Glück und beschließen, an den Grenzübergang zu fahren, um zu sehen, ob wir unseren Weg nach Osh über Usbekistan abkürzen können. Lisa verfolgt dabei unseren Weg bei Google Maps und siehe da, laut Google sind wir schon in Usbekistan, obwohl wir noch keinen offiziellen Grenzübergang passiert haben. Wir spinnen ein paar lustige Verschwörungstheorien zusammen, doch zehn Minuten später stehen wir vor den heruntergelassenen Grenzschranken, wie zig andere Fahrzeuge auch. Nützt ja nichts, wir drehen um und fahren den Umweg über Dschalalabad.
Wir reisen weiter auf der Hauptverkehrsader zwischen Bischkek und Osh, doch die Straßen werden schnell schlechter. Auf einen Kilometer Asphalt folgen nun drei Kilometer Baustelle, oder schlimmer. Die Reisegeschwindigkeit ist auf 20 km/h herabgesetzt, sodass wir noch mindestens drei Stunden bis nach Osh brauchen würden. Es ist jetzt schon 17:00 Uhr und die Temperaturanzeige hat inzwischen doch die 40 Grad Celsius geknackt. Wir wollen jetzt eine Abkühlung und wenden uns dem Baza-Korgon-Reservior zu, an dem wir auch einen Stellplatz für die Nacht finden. Über eine kleine Straße geht es zu dem besagten See, der sich schnell als zentraler Treffpunkt zum Abkühlen der umgebenden Ortschaften herausstellt. Wir zahlen je 30 Com Eintritt und befinden uns gleich in einer anderen Welt, voller Kinderlachen, Unmengen alter Ladas, Musik und verlockendem Grillgeruch. Wir haben kaum unser Auto im Schatten eines Baumes am Seeufer abgestellt, als wir zu Schaschlik eingeladen werden und der Frauenausflug eilig Bilder mit uns macht. Danach erkunden wir den See und erfrischen uns in dem bestimmt 25 Grad warmen Wasser. Wir helfen noch einem neben uns stehenden Daimler mit Werkzeug aus und am Abend gibt es wieder unser gewohntes Nachprogramm – Blitze schauen.
What to do in Dschalalabad?
Nach dem Aufbruch am anderen Morgen beschließen wir, eine Tour durch das nahegelegene Dschalalabad zu machen und etwas zu Essen, denn wir kommen auf der Straße echt gut voran, vielleicht auch weil wir uns nicht immer an die Geschwindigkeitsregeln halten. Bisher sind wir ja immer gut an den Polizeikontrollen vorbeigekommen. Ich glaube die goldene Regel ist: fahre etwas schneller, aber nicht schneller als der schnellste Einheimische. So haben die Milizionäre immer schon was zu tun, wenn man dann selbst vorbeisaust.
Jedenfalls kommen wir in Dschalalabad – der immerhin drittgrößten Stadt des Landes – an. Bleiben aber nur 45 Minuten. Solange brauchen wir, um mit dem Auto durch eine langweilige und nichts sagende Stadt weiter nach Osh zu fahren.
Osh – Eine Stadt die wir uns hätten sparen können
Die Luft ist dank des bedeckten Himmels heute noch angenehm kühl und wir laufen schon gegen 12 in Osh ein. Eine Stadt voller Trubel und Verkehrschaos, die wir erstmal auf der Suche nach unserem Hostel durchqueren. Dort angekommen werden wir etwas verwundert empfangen, denn keiner weiß über unser Kommen Bescheid, obwohl es eigentlich über Booking eine Buchungsbestätigung gegeben haben sollte.
Ein kurzer Anruf regelt das aber schnell. Es ist (leider) eh alles leer (denn auch der wenige Tourismus in Kirgistan ist pandemiebedingt nahezu völlig zum Erliegen gekommen), sodass unser Zimmer im Nu hergerichtet ist. Unterdessen bereiten wir uns im grünen Außenbereich einen Tee zu, um alsbald die Stadt zu erkunden. Immerhin ist Osh die zweitgrößte Stadt in Kirgistan und liegt an der Seidenstraße. Unserer Auffassung nach muss es ja ein Stadtzentrum geben und alte Gebäude und Sehenswürdigkeiten – Seidenstraße = wichtig = reich, but Fail.
Wir laufen durch die Straßen und entdecken eher eine schlechte Kopie von Bischkek. Hier gibt es ebenfalls einen großen Basar (leider heißt der hier nicht in Anlehnung an den Osh-Basar in der Hauptstadt „Bishkek-Basae“), geometrische Straßenzüge, bekannte Architekturstile und eigentlich nichts besonderes. Really. Wir machen den Bazar unsicher. Davon gibt es einige, aber die Waren sind die Gleichen: Unmengen chinesischer Klamotten, Trockenfrüchte und Nüsse, Fleisch, Brot, frisches Obst und Gemüse, mehr Klamotten, ein Schreibwarenstand, Kinderklamotten, Klamotten, und so weiter… Der einzige Lichtblick besteht in einem leckeren Kebab und den bis dahin besten Camca – vegetarisch, mit Kartoffeln und Zwiebeln gefüllt. Insofern stimmt schonmal die landesweite Behauptung, dass es in Osh die besten gefüllten Teigtaschen des Landes gibt.
Außerdem haben wir die Mission, für Lisa ein neues T-Shirt finden, eines mit Kyrgyzstan-Aufdruck. Irgendwie hat sie sich in eins reinverliebt. Nachdem wir eins gefunden haben, schlendern wir zur Post und geben die ersten Postkarten ab. Wir fühlen uns fast schuldig, als wir die eifrig vor sich hin stempelnde Dame und ihren monotonen Dong-Dong, Dong-Dong, Stempelkissen-Brief-Rhythmus unterbrechen. Und ehrlich gesagt weiß ich auch gar nicht, ob unsere Karten überhaupt schon angekommen sind. Lisa fällt mit dem neuen Shirt auf jeden Fall auf und gilt jetzt offiziell als Kirgisin. Fortan muss ich nun aufpassen, dass Lischen nicht das Opfer einer Brautentführung wird. Dieser alte Brauch hat leider nichts Romantisches an sich, also etwa, dass der die Braut liebende Bräutigam seine Angebetete für die Flitterwochen abholt. Nein, wir sprechen hier darüber, dass junge Mädchen in ländlichen Gegenden tatsächlich hin und wieder von ihrem Zukünftigen (den sie im schlechtesten Fall nicht einmal kennen) entführt und dann mit ihm verheiratet werden. (Anm. Lisa: der wohl einzige Vorteil daran, kein ganz junges Mädchen mehr zu sein). Außerdem machen wir uns auf den Weg zu einer leckeren Bierbar, die wir gefunden haben. Nices Teil mit schönem Außenbereich, Holz, kaltem Bier und Hängeschaukeln. Bars thematisch hochwertig auszugestalten, das scheint eine echte Kompetenz in Kirgistan zu sein.
Osh – Am nächsten Tag
Am nächsten Tag entschließen wir uns, noch den Suleiman-Too zu besteigen, um wenigstens das berühmteste Wahrzeichen in Osh besucht zu haben. Wir suchen den Aufstieg und bezahlen am offiziellen Eingang, den man auch locker umgehen kann, je 100 Com Eintritt für das Museum. Alsbald haben wir eine Begegnung der besonderen Art. Uns spricht eine junge Kirgisin, Bububatma, auf Englisch an, und erzählt ganz aufgeregt, dass sie Sprachen studiert und happy ist, mit uns Englisch zu sprechen. Endlich praktisch das Gelernte anzuwenden. Jetzt wollen sie und ihr Freund aus Irkutsk uns den Suleiman-Too näher bringen.
Das hatten wir doch schonmal, schießt mir durch den Kopf. Diesmal ist aber alles anders. Wir beschließen, zusammen den Berg zu erklimmen und können uns auf Englisch unterhalten. Wir erfahren eine Menge über Osh, wie sich beide kennengelernt haben und vor allem, was es mit dem Berg auf sich hat. Hier betete Salomon für eine lange Zeit, um anschließend seine Lehren unter das Volk der Gläubigen zu bringen. Er hatte hier eine Höhle, in die wir hineinkriechen und sogleich in kühlere Temperaturgefilde kommen. Hier sollte es auch eine Quelle geben, aber die ist wohl ausgetrocknet. Außerdem rutschen wir Salomons Thron herunter (ist mir ein Rätsel, wie er darauf saß, aber vielleicht war er ja ein Riese – Moment, nein, dann hätte er nicht in seine Höhle gepasst). Der Thron ist ein etwa ein Meter breites und zwei Meter langes Stück glatter Felsen mit einer Rinne in der Mitte, die wie gemacht zu sein scheint, für eine menschliche Wirbelsäule. Man kann also auf dem Rücken auf der mittlerweile blankpolierten Steinplatte herunterrutschen, das soll aufgrund von Salomons Heiligkeit Rückenschmerzen lindern und ganz wichtig, Frauen Fruchtbarkeit schenken. Wir erfahren von Bubu, dass der Berg vielen Gläubigen als heilig gilt und es einen regelrechten Rutsch-Pilger-Tourismus gibt.
Außerdem soll hier Babur, der Nachkomme Timurs und Begründer der indischen Moguldynastie über drei Jahre lang gelebt und gebetet haben, nachdem ihm der Thron verweigert wurde. Nach dieser Zeit soll er die Eingebung gehabt haben, nach Osten zu gehen. Dort vereinigte er die Armeen und eroberte Indien. Sein Enkel soll dann den Taj Mahal erbaut haben. Krasse Story.
Wir gehen an Aprikosenbäumen vorbei und klauen uns einige Früchte, passieren das Historische Museum, welches in den Berg gebaut ist und wie ein außerirdisches Gebäude auf dem Mars aussieht, um bei einer der vielen Erfrischungsgetränke-Frauen, die wir schon aus Bishkek kennen, halt zu machen und zum ersten mal Чалап kosten.
Anschließend besuchen wir mit unseren privaten Tourguides das Restaurant seiner Eltern und werden wieder eingeladen (es ist wirklich nahezu unmöglich, sich gegen kirgisische Einladungen zu wehren, und da ist Sören ja schon teilweise sehr subversiv unterwegs – aber, keine Chance!). Das Highlight dieser Einladung erwartet uns aber im Erdgeschoss des Gebäudes. Hier soll es eine Kunstausstellung geben und wir machen uns – um ehrlich zu sein – aufs Schlimmste gefasst, wir haben es ja schließlich beide nicht so mit Kunst. Doch wir werden sehr positiv überrascht: Seine Schwester zeichnet und malt Frauen mal herausfordernd, geradezu provozierend und andererseits in traditioneller, kirgisischer Tracht. Dazu packt sie eine Art schroffen Manga-Anime-Comic-Style, viele Farben und schon sind wirkliche Kunstwerke erschaffen. Einen Besuch ist die Ausstellung auf jeden Fall wert!
Wir sind nun schon über eine Stunde nach unserem Check-Out Date, müssen uns leider verabschieden und gehen schnellen Schrittes zu unserem Hostel „Lovely Home for you“.
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